Gefangen und gequält im KZ Oranienburg

Internet-Ausstellung über die Lebenswege politischer Häftlinge im ersten Konzentrationslager in Preußen

»Noch jetzt, seit nahezu vier Wochen in Freiheit, kann ich kaum eine Nacht durchschlafen; ich träume noch immer wieder die entsetzlichen Bilder von Oranienburg und erwache dann, mitten in der Nacht, schweißgebadet.« Diese Zeilen notierte Gerhard Seger, nachdem er im Dezember 1933 aus dem KZ Oranienburg entkam und über die Grenze nach Prag floh. Als Chefredakteur sozialdemokratischer Zeitungen wirkte Gerhard Seger in den Jahren der Weimarer Republik. Zuletzt saß er als Abgeordneter im Reichstag.

Segers Schrift »Oranienburg. Erster authentischer Bericht eines aus dem Konzentrationslager geflüchteten« erschien 1934. Das Buch sorgte damals international für Aufsehen und machte den Namen der Stadt zum Synonym für den faschistischen Terror. Nun dient das Werk als Grundlage für eine Online-Ausstellung. 20 Studenten des Otto-Suhr-Instituts der Freien Universität Berlin beschäftigten sich zwei Jahre lang mit den Biografien politischer Häftlinge des Konzentrationslagers. Das Ergebnis zeigt die Stiftung Brandenburgische Gedenkstätten auf ihrer Internetseite.

Die SA sperrte die ersten 40 Häftlinge am 21. März 1933 in das erste Konzentrationslager in Preußen. Es befand sich auf dem völlig verwahrlosen Gelände einer stillgelegten Brauerei in Oranienburg. Bis zur Auflösung des Lagers am 14. Juli 1934 sind dort etwa 3000 politische Gegner gefangen gehalten und gequält worden – Kommunisten, Sozialdemokraten, Gewerkschaftsfunktionäre und andere. Mindestens 16 Menschen starben.

In der Nacht zum 10. Juli 1934 ermordeten die Faschisten den anarchistischen Schriftsteller Erich Mühsam. Sie bemühten sich vergeblich, es wie Selbstmord aussehen zu lassen. Die Ausstellung erzählt die Lebenswege von mehr als 200 Häftlingen ausgehend von Segers Bericht.

Es finden sich darüber hinaus auch die Biografien von vier Tätern: Die des Lagerarztes Carl Lazar, des Kommandanten Werner Schäfer und seines zeitweiligen Stellvertreters Hans Stahlkopf, der für seine Foltermethoden gefürchtet war. Hinzu kommt Werner Schulze-Welsungen. Er führte die SA-Standarte 208, die das KZ beaufsichtigte. Nach dem Zweiten Weltkrieg kam er zunächst ungeschoren davon. Nur weil er versuchte, nach seiner Flucht aus der DDR in der Bundesrepublik finanziell entschädigt zu werden, fiel er der Justiz überhaupt auf und musste für seine Vergehen in der Nazizeit 90 000 D-Mark Strafe zahlen.

Nach Oranienburg brachten die Faschisten eine ganze Reihe prominenter Häftlinge. Zu ihnen gehörte Friedrich Ebert junior (1894-1979), der Sohn des ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik. Ebert – wie sein Vater Sozialdemokrat – lieferte sich in der Stadtverordnetenversammlung von Brandenburg/Havel und im Reichstag Wortgefechte mit den Kommunisten. Man schenkte sich nichts. Walter Ulbricht beispielsweise nannte Ebert 1932 einen »Unternehmerknecht«.

Augenzeuge Seger beschreibt die Einlieferung von Ebert und fünf weiteren Häftlingen, die sich auf Befehl der SA ausziehen mussten: »Dann ließ man den sechs Männern den Kopf kahl scheren, wobei man Ebert einen Kranz von Haaren stehen ließ, um ihn besonders lächerlich erscheinen zu lassen.« In der Haft und danach fand Friedrich Ebert in kommunistischen Leidensgefährten Freunde. Das erklärt sein späteres Engagement in der SED. Von 1948 an wirkte er 18 Jahre lang als Oberbürgermeister von Ostberlin, außerdem einige Jahre als Präsident der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft und als Vizepräsident der Volkskammer. Er blieb immer volksnah, vermerkt der Ausstellungstext.

Wegen Hochverrats belangt, sollte sich der SPD-Landtagsabgeordnete Max Fechner (1892-1973) vor Gericht verantworten – aber eigentlich doch nicht. Der Prozess gegen den Sohn eines Maurers aus Rixdorf am Berliner Kammergericht wurde nämlich in seiner Abwesenheit geführt, weil der Angeklagte angeblich nicht aufzufinden war. Tatsächlich befand er sich zu der Zeit jedoch im KZ Oranienburg.

1948 ernannte Marschall Sokolowski Fechner zum Präsidenten der Justizverwaltung in der sowjetischen Besatzungszone. Den Posten des Justizministers verlor er nach dem 17. Juni 1953. Nach den damaligen Unruhen hatte er in einem Interview geäußert, dass selbst Rädelsführer nicht auf bloßen Verdacht hin bestraft werden dürfen, und er hatte erklärt, der Streik der Bauarbeiter in der Sta-linallee habe nicht gegen die Verfassung verstoßen. Auf Beschluss des Politbüros wurde Fechner seines Amtes enthoben, in Arrest genommen und aus der SED ausgeschlossen. Jahre später nahm ihn die Partei wieder auf. Fechner wurde als Arbeiterveteran eingestuft. Er habe seine Abstrafung bis zuletzt als ein Missverständnis angesehen, heißt es.

Verdienstvoll findet der Regionalforscher Fred Bruder die Internet-Ausstellung. Er bedauert jedoch, dass unter den über 200 Biografien die von Max John aus Schulzendorf fehlt. Der Kommunist gehörte zu den wenigen nachgewiesenen Todesopfern. Die SA folterte den Mann. Er wehrte sich und wurde deswegen in den Bunker gesperrt. In Folge der Drangsalierungen starb Max John 1933 in einem Berliner Haftkrankenhaus, berichtet Bruder.

Der aus dem KZ entkommene Gerhard Seger übrigens siedelte noch 1934 in die USA über. Dort betätigte er sich wieder als Journalist und Publizist und hielt an die 11 000 Vorträge. Im Exil wahrte Seger Distanz zu den Kommunisten. Er starb 1967 in New York.

www.stiftung-bg.de/kz-oranienburg


  • Der Rundfunkpionier Kurt Magnus (1887-1962) erhielt im Ersten Weltkrieg das Eiserne Kreuz und schloss sich 1919 dem Freikorps »Olympia« an. Magnus gründete die »Radio Stunde« (später »Funkstunde«), die am 29. Oktober 1923 auf Sendung ging. Es gilt als einer der Väter der Reichsrundfunkgesellschaft. Im Zuge der von Goebbels veranlassten politischen Säuberungen im Rundfunk kam Magnus ins KZ Oranienburg.
  • Der Schriftsteller Armin T. Wegner (1886-1978) erlebte als Krankenpfleger einer Sanitätsmission im Osmanischen Reich den Völkermord an den Armeniern. Wegen seiner Versuche, die deutsche Öffentlichkeit über dieses Verbrechen aufzuklären, wurde er entlassen. Der Pazifist wirkte als Geschäftsführender Sekretär des Bundes der Kriegsdienstgegner. Bei der Bücherverbrennung 1933 warfen die Faschisten auch Wegners Werke ins Feuer. Am 19. August 1933 wurde der Schriftsteller ins KZ Oranienburg eingeliefert.
  • Der Literaturwissenschaftler und Kommunist Wilhelm Girnus (1906-1985) verbrachte beinahe die gesamte Nazizeit in Gefängnissen und Konzentrationslagern. Ins KZ Oranienburg kam er am 11. Januar 1934. In der DDR arbeitete Girnus als Redakteur beim ND, als Staatssekretär für das Hochschulwesen und schließlich als Chefredakteur der Zeitschrift »Sinn und Form«.
  • Der Vertrauensmann des kommunistischen Jugendverbandes Bernhard Behnke (1913-2001) saß in verschiedenen Lagern, auch in Oranienburg. Später brachte er es bis zum Oberst der Nationalen Volksarmee. Er starb in Potsdam.
  • Der Bad Wilsnacker Wohlfahrtsdezernent Ewald Süter (1898- 1945) engagierte sich in der Gewerkschaft und im Reichsbanner. Im KZ Oranienburg saß der Sozialdemokrat acht Monate lang.


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