Geist und Sinne

Wagners »Tannhäuser« in Chemnitz

  • Werner Wolf
  • Lesedauer: 4 Min.

Vor Jahren brachte Wolfgang Heinicke Richard Wagners romantische Oper »Tannhäuser und der Sängerkrieg auf Wartburg« schon einmal auf die Bühne. Diese auf die Urfassung zurückgehende Inszenierung von 1995 zog viele Theaterbesucher an und hielt sich über fünf Jahre im Spielplan. Die erneute intensive Beschäftigung des Regisseurs mit dem Werk, nun aber in der Pariser Fassung, weckt mit ihrer emotionsgeladenen darstellerischen und musikalischen Gestaltung mit Beginn der zweiten Szene eher noch stärkere Eindrücke.

Die erste Szene gibt allerdings Rätsel auf. Warum wählte Heinicke die für Paris um das Bacchanale erweiterte, stilistsch problematische Fassung, wenn kein Ballett mitwirkt und nur einige Pantomimik Schleierhaftes andeutet? Die in der Pariser Fassung ebenfalls mit dem »Tannhäuser«-Stil fremder tristanischer Harmonik erweiterte zweite Szene gestalten Astrid Weber als Venus und Jon Ketilsson aber so eindringlich, dass deren ganze Länge erfüllt wird.

Wolfgang Heinickes genaue Personenführung lässt schon in der folgenden Wiederbegegnung Tannhäusers mit den Wartburg-Sängern ahnen, welche Gegensätze im Sängerkrieg aufbrechen können. Die lässt der Regisseur mit aller Intensität und in der Zuspitzung auch handgreiflich ausspielen. Für Tannhäuser gibt es kein Halten mehr und Jon Ketilsson agiert mit enormer Intensität. Ihm stehen mit Heiko Trinsinger als Wolfram und Matthias Winter als Biterolf energische Partner gegenüber. Zudem reagiert der im ersten Aufzug unsichtbar bleibende stimmkräftge Chor beweglich auf die Auseinandersetzungen der Sänger.

Astrid Weber zeichnet sich auch als Elisabeth mit bewegender darstellerischer und musikalischer Gestaltung aus. Nach ihrem freudigen Auftritt vor dem Sängerstreit und dem energischen Eintreten für Tannhäuser findet sie im dritten Aufzug im Gebet zu ergreifend verinnerlichter Gestaltung. Zu Höhepunkten führen im dritten Aufzug auch Heiko Trinsinger mit dem traurigen Lied an den Abendstern und Jon Ketilsson mit der von enormer Spannung erfüllten Rom-Erzählung.

Frank Beermann führt als Chefdirigent der Oper Chemnitz die Solisten, den Chor und die ebenso differenziert wie kultiviert musizierende Robert-Schumann-Philharmonie mit nicht nachlassender Intensität.

Die Besetzung der Venus und Elisabeths mit einer Sängerin relativiert in dieser Inszenierung allerdings die absoluten Gegensätze zwischen der zügellosen Sinnenlust der Venusbergwelt und der starren, dogmatischen Haltung der Wartburggesellschaft. Elisabeth wendet sich gegen beide Extreme. Sie verteidigt den Erfüllung suchenden Tannhäuser und tritt für eine echte, die Sinnlichkeit einschließende Liebe ein, vereinigt Geist und Sinne, wie Wagner in seiner Einführung zur Ouvertüre schrieb.

Die Probleme der Inszenierung liegen aber vor allem in der Ausstattung Peter Sykoras. Das Geschehen spielt nicht auf der und um die Wartburg, sondern in mehr oder minder düsterer Atmosphäre vor drei als Ruinen stehengebliebenen gotischen, von dürftigen Ersatzbauten umgebenen Kirchenfenstern. Folgerichtig nennt der Theaterzettel das Stück einfach nur »Tannhäuser«. Der in Wagners Musik gestaltete Gegensatz zwischen der schwülen Atmosphäre der Venusbergwelt (ganz gleich, ob sie nur in der Fantasie Tannhäusers existiert oder real gezeigt wird) und der Tannhäuser beglückenden Frühlingslandschaft wird von der Ausstattung nivelliert, wie überhaupt die Bühne kaum etwas von der Farbigkeit der Musik besitzt.

Offensichtlich wollen der Regisseur und sein Ausstatter die Vorgänge in die Gegenwart oder eine nicht allzu ferne Vergangenheit rücken. Dafür könnten sie sich auf Wagner berufen, der sich von Erscheinungen seiner Zeit zur Gestaltung gedrängt fühlte. Was da an Lustbarkeiten im Venusberg besungen wird, erweist sich nicht nur als kritische Auseinandersetzung mit der anfangs von den jungdeutschen Schriftstellern gepriesenen freien Liebe (so in der vom jungen Wagner zunächst begeistert aufgenommenen Novelle »Liebesbriefe« von Heinrich Laube), sondern darüber hinaus mit dem oberflächlichen sinnlichen Treiben der Zeit Wagners.

Die Wagnerschen Minnesänger und die den Sängerkrieg besuchende Gesellschaft der Wartburg wiederum stehen für schwarzberockte, erzkonservative, eine starre Moral vertretende Deutsche, die Laube in seinem Roman »Das junge Europa« sarkastisch schilderte. Vorbilder für den nicht den historischen Gestalten entsprechenden Wolfram von Eschenbach und Elisabeth finden sich ebenfalls in Laubes Roman »Das junge Europa«.

Doch Wagner hütete sich, das Geschehen auf seine Zeit einzuengen und »verfremdete« es (ein Dreivierteljahrhundert vor Bertolt Brecht) auf seine Weise, indem er die Handlung in die Zeit des sagenumwobenen Sängerkrieges um 1200 spielen lässt, die Vorgänge aber frei gestaltet. Zudem schuf er mit der Verschmelzung des Heinrich von Ofterdingen und des Tannhäuser eine ganz eigene, neue Gestalt. Diese Form der Parabel ermutigt den mitdenkenden Theaterbesucher zu weitergehenden Schlussfolgerungen.

Nächste Vorstellung: 17. Januar

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