Schablonen aus dem Schwarz-Weiß-Labor

Der gegenwärtige Streit in der LINKEN erinnert in mancher Hinsicht an die Krise der PDS vor sieben Jahren

Einen solchen Krach wie derzeit hat die LINKE noch nie erlebt. Man muss schon sieben Jahre zurückschauen, in die Geschichte der Vorläuferpartei PDS, um Vergleichbares zu finden. Damals, im Herbst 2002, holte sich die PDS ihre empfindlichste Niederlage: Sie scheiterte bei der Bundestagswahl an der Fünf-Prozent-Hürde und war damit so gut wie raus aus der Bundespolitik. Niemand wusste damals, ob für immer.

Ungefähr zwei Jahre brauchte die Partei, um sich von dem Schock halbwegs zu erholen, um sich zu sortieren, wieder handlungsfähig zu werden, die Konflikte endlich auszutragen, die lange geschwelt hatten. Es ging um das Verständnis von Opposition, ums Mitregieren, um die Frage, wie sich die PDS bundespolitisch profilieren kann. Im Brennpunkt des Geschehens schon damals: Dietmar Bartsch, Bundesgeschäftsführer. Ein einflussreicher Mann, der viel für die Partei geleistet hat, der nicht selten polarisierte und sich damit so viele Feinde wie Freunde gemacht hat. Ein enger Vertrauter des langjährigen Vorsitzenden Lothar Bisky. Gleiches galt für sein Verhältnis zu Biskys Nachfolgerin Gabriele Zimmer ganz und gar nicht, eher konkurrierten sie. Das konnte nicht gut gehen.

Auch damals wurde Bartsch Illoyalität vorgeworfen – gegen die Vorsitzende Gabriele Zimmer; dahinter steckten unterschiedliche Ansichten etwa über die Frage, ob die Sozialisten das Zünglein an der Waage im Machtkampf zwischen Rot-Grün und Schwarz-Gelb spielen sollten. Bekanntlich hat sich die PDS dabei glatt übernommen – nicht zuletzt, weil ihr Führungspersonal nach dem Rückzug von Lothar Bisky und Gregor Gysi von den Spitzenpositionen uneinig, ja sogar zunehmend zerstritten war. Dabei ging es längst nicht nur um politische Differenzen, über die man ja hätte diskutieren können, sondern auch um persönliche Abneigungen und Karriereambitionen. Darüber lässt sich bekanntlich kaum sachlich reden. Bartsch muss weg, Dehm muss weg, Hiksch muss weg, Zimmer muss weg – solche Losungen wurden ausgegeben; viele Akteure wussten einfach nicht weiter als bis zu solchen Parolen. Man formulierte vor allem, was man nicht wollte.

Damals wie heute geht es gar nicht so sehr oder zumindest nicht nur um einen Kampf zwischen Hardlinern und Pragmatikern, Fundamentalisten und Realos, Regierungsfreunden und Regierungsgegnern. Das sind Schablonen aus dem Schwarz-Weiß-Labor der Medien, die bestenfalls am Rande mit der Wirklichkeit zu tun haben. Schon gar nicht geht es um Ostpragmatiker und Westfundis. Man sehe sich nur die Bemühungen der Saar-LINKEN an, in die Regierung zu kommen. Wäre das gelungen, würden wir jetzt an der Saar linke Realpolitik erster Güte erleben – ebenso in Hessen, wäre das Tolerierungsprojekt nicht geplatzt.

»Realos gegen Realissimos« hieß 2002 eine Schlagzeile in dieser Zeitung, und sie wäre auch heute nicht so falsch. Kritik aus den westlichen Landesverbänden wurde damals allein schon wegen deren personeller und politischer Schwäche zwar gehört, aber – auch von Bartsch – oft nicht allzu ernst genommen. Das hat sich gründlich geändert. Die Genossen West sind dem Randgruppendasein längst entwachsen, sie sind zu Recht selbstbewusster. Mancher arbeitet sich jetzt mit einem ganz anderen landespolitischen Hintergrund an Bartsch ab. Über einen Kamm zu scheren sind sie im aktuellen Konflikt aber nicht; Lafontaine-Freunde West kontra Bartsch-Freunde Ost, das ist auch eine von diesen medialen Plattheiten.

Auch vor sieben Jahren war die Auseinandersetzung von schier unversöhnlichen personellen Konfrontationen begleitet. Einige der Beteiligten zogen sich – teils freiwillig, teils unfreiwillig – eine Zeit lang aus der ersten Reihe der Partei zurück. Inzwischen sind fast alle wieder bundespolitisch an Bord. Manche über den Umweg Landespolitik, manche über den Umweg WASG. Manche im Bundestag, manche im Europaparlament. Eine starke Partei braucht viele gute Leute, auch wenn nicht jeder mit jedem befreundet sein möchte. Manche mischen jetzt offenbar wieder mit; man wird, wenn man das Geschehen in diesen Tagen beobachtet, das Gefühl nicht los, dass da auch ein paar alte Rechnungen beglichen werden sollen.

Der LINKEN ist zu wünschen, dass die Lösung der gegenwärtigen Krise letztlich eine menschlich – und damit auch politisch – anständige ist. Und dass die bittere Anmerkung einer Vorstandsfrau von 2002 vielleicht doch nicht dauerhafte Gültigkeit behält: »Wir unterschreiben zwar unsere Briefe ›mit solidarischen Grüßen‹, aber im Umgang miteinander sind wir offenbar nicht anders als die anderen Parteien.«

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