PLATTENBAU

  • Michael Saager
  • Lesedauer: 3 Min.

Pop ist ein undankbares Geschäft. Ein Geschäft auf jeden Fall. Wenn es nicht um Erfolg oder Ruhm geht, ist es gar kein Pop. Je größer dieses Geschäft, desto mehr Köche können den Brei verderben, weil es mehr Schaltzentralen gibt, die alle meinen, dass sie Wichtiges zu sagen haben. Ist der Brei erst verdorben, findet man das möglicherweise tragisch. Schwer verhunzte Alben nicht weniger Bands erzählen zahlreiche solcher Geschichten.

Bei Annie, die mit bürgerlichem Namen Anne Lilia Berge-Strand heißt, sah es gar nach einem vorzeitigem Ende ihrer Geschichte aus. Dabei hatte alles so vielversprechend begonnen: »Anniemal«, das gelungene Elektropop-Debüt der mittlerweile in Berlin lebenden Norwegerin aus dem Jahr 2004, hatte die Pop-Presse die Ohren spitzen lassen; mit ihrem leicht hysterischen 80er-»Mix« für die DJ-Kicks-Reihe ein Jahr später blieb sie der Pop-Welt im Gedächtnis.

Umso selbstbewusster trat sie drei Jahre später auf, als es galt, die Werbetrommel für ihr zweites Album »Don't Stop« zu rühren. Große Geschichten, in denen sich Annie eine ruhmreiche Zukunft weissagte, druckte nicht nur die Musikzeitschrift »Spex«; auch in der Lifestyle-Presse galt sie als »verdammt heiß«. Was indessen nicht auftauchen wollte, war das Album. Es wurde verschoben und verschoben. Irgendwem bei der Major-Firma passte immer irgendwas nicht. Die mittlerweile 31-Jährige hatte Glück im Unglück, konnte sich aus dem Vertrag befreien und unterschieb schließlich beim befreundeten Bergener Indie-Label Smalltown Supersound.

Da Geschichten des Scheiterns lieber leise erzählt werden, bekam man all das eher am Rande mit. Und obwohl »Don't Stop« nun endlich so erscheinen konnte wie von Annie vorgesehen, ist der Brei doch einigermaßen verdorben, weil sie ja alle geschrieben und längst wieder vergessen sind, die großen Geschichten. Niemand druckt eine zweite Cover-Story zum selben Thema. Was bleibt, ist die Einsicht in das Pech und ein süffiges Bubblegum-Elektropop-Album mit vielen niedlichen Hooklines und genau der Dosis Charme, der Lady Gagas allzu ausgebufften Pop-Produktionen regelmäßig abgeht.

Nein, das Rad wurde hier nicht neu erfunden. »Don't Stop« groovt im bunten Plastikkleid auf flotten, meist geraden Beats zu einem komprimierten Maximal-Sound direkt in die Neon-Welt der 80er. Oder aus ihr heraus. Annies zugebenen nicht gerade mächtige, dafür umso reizendere Mädchenstimme passt prima in diese Retro-Welt.

Deren Ende wird zwar immer wieder mal herbeigeschrieben, ist aber anscheinend lange noch nicht in Sicht. Andernfalls hätten Künstlerinnen wie La Roux und Little Boots im vergangenen Jahr mit ihren Alben nicht solche Erfolge gefeiert. Sie haben Annie etwas Entscheidendes voraus: Sie waren vor ihr dran. Wäre alles so gelaufen, wie ursprünglich geplant, wäre es umgekehrt gewesen. Es braucht wenig Fantasie, um sich den Ausdruck der Verärgerung auf Annies Gesicht vorzustellen.

Annie: Don't Stop (Smalltown Supersound/Alive)

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