Gefangen im Stück

Porgy & Me

  • Martin Hatzius
  • Lesedauer: 2 Min.

Auf der einen Seite ist dies ein Film über den Tournee-Alltag des New York Harlem Theatre. Seit Jahrzehnten ist dieses Ensemble afroamerikanischer Musiker unterwegs um den Erdball, um George Gershwins Oper »Porgy and Bess« aufzuführen. Man beobachtet die Musiker im Tourbus und in der Kantine, wird Zeuge ihrer Nervosität in der Garderobe und ihrer Brillanz auf der Bühne. Kurzum: Der Zuschauer lernt Künstler als Menschen kennen, als ursympathische Menschen. Der Zusammenhalt der Truppe beeindruckt. Jeder steht für den anderen ein, Erfahrungen werden weitergegeben, Sorgen und Nöte geteilt: eine verschworene Gemeinschaft.

Auf der anderen Seite erzählt der Film vom zwiespältigen Glück, das Gershwin den Protagonisten mit dieser 1935 uraufgeführten Oper beschert hat. Nach einer Verfügung des Komponisten darf »Porgy and Bess«, dessen Handlung um Drogen, Gewalt und Liebe in einem afroamerikanischen Ghetto in den Südstaaten angesiedelt ist, ausschließlich von Schwarzen gespielt und gesungen werden. Für viele Mitglieder des New York Harlem Theatre ist die Zugehörigkeit zu ihrem Ensemble ein Segen. Und ein Fluch zugleich. So sehr sie in diesem Werk aufgehen, darin trotz mancher Klischees ihre ureigene Geschichte wiedererkennen, so sehr fühlen sie sich gefangen in »Porgy and Bess«, festgelegt auf diese Rollen.

Die Welt der Oper ist eine Welt der Weißen, bis heute. Den meisten der Sänger, die wir in »Porgy & Me« kennenlernen, bleibt der Zugang zu den Ensembles der großen internationalen Opernhäuser verschlossen. Mit ihrer »Porgy and Bess«-Produktion setzen sie einen Fuß in manches dieser Häuser – um alsbald weiterzuziehen, in die nächste Stadt, ins nächste Land. Dass man unter sich bleibt, stärkt die Gemeinschaft. Und gleichermaßen das Gefühl, sich für immer im Kreis zu drehen.

Die große Nähe, die dieser Film zu seinen Protagonisten herstellt, dankt sich auch der privaten Bindung zwischen Regisseurin Susanna Boehm und Porgy-Darsteller Terry Lee Cook. »Porgy & Me« ist ihrem gemeinsamen Sohn Benjamin gewidmet.

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