Regierung in Not hofft auf ein Wunder

Georg Fülberth über historische Parallelen, die Angela Merkel nur bedingt weiter helfen

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Georg Fülberth / Der Politikwissenschaftler lehrte mehr als 30 Jahre an der Uni Marburg
Georg Fülberth / Der Politikwissenschaftler lehrte mehr als 30 Jahre an der Uni Marburg

Dass eine neue Regierung gleich am Anfang ins Stolpern kommt, ist nicht ganz neu. Nachdem Konrad Adenauer 1949 gewählt war, folgte ein schwieriger Winter mit hohen Arbeitslosenzahlen und ständigen Angriffen auf den Wirtschaftsminister Ludwig Erhard, der kurz vor der Entlassung stand. Das erste rot-grüne Kabinett hatte 1998/ 1999 eine extrem schlechte Presse. Der Finanzminister Oskar Lafontaine wurde niedergeschrieben, der Kanzler wegen Tatenlosigkeit getadelt. 2002/2003, nach der Wiederwahl, sah es auch nicht besser aus: Die Wirtschaftslobby forderte marktradikale Reformen und argwöhnte, Gerhard Schröder sei gewerkschaftshörig.

Den Anfangsschwierigkeiten folgten jeweils Befreiungsschläge: Mit dem Koreakrieg begann 1950 der wirtschaftliche Aufschwung. Als Lafontaine im März 1999 ging, jubelte die Börse. 2003, wieder im März, sicherte sich Schröder mit seiner Agenda 2010 das Wohlwollen seiner bisherigen Kritiker. Allerdings war dies auch schon der Anfang vom Ende.

Sollte Angela Merkel in diesen Tagen Rat bei historischen Parallelen suchen, könnte dieser also zwiespältig ausfallen. Einige mildernde Umstände für ihren Fehlstart hätte sie immerhin: In Wahlkämpfen werden immer widersprüchliche Erwartungen geweckt, deren Verfechter hinterher behaupten, hinters Licht geführt worden zu sein. Merkel und Westerwelle hatten zugleich Steuersenkungen und die Sanierung der Staatsfinanzen in Aussicht gestellt. Beides zusammen geht aber zumindest kurzfristig nicht. Offiziell will man es mit zwei Schritten versuchen: erst das Eine, dann das Andere. Aber was zuerst? Man entschloss sich, die Steuersenkungen voranzustellen. Hätte man gleich mit dem Sparen angefangen, bräuchte Jürgen Rüttgers im Mai gar nicht erst zur Wahl anzutreten. Das Besserverdienenden-Selbstbedienungsgesetz (sein Druckfehler lautet: »Wachstumsbeschleunigungsgesetz«) wird aber erst dann so richtig weh tun, wenn die Geschenke an die Reichen mit Sparen bei den Armen wieder hereingeholt werden.

Für die Wahl in Nordrhein-Westfalen bringt es einen großen Nach- und einen kleinen Vorteil. Peinlich ist es für die FDP, die in den Umfragen verliert. Die Sache mit den Hoteliers ist ja wirklich nicht schön. Aber Rüttgers hat dadurch die Gelegenheit, die Vorzugsbehandlung für das Beherbergungsgewerbe zu geißeln und damit wieder einmal als Arbeiterführer dazustehen. Ob die Rechnung aufgeht, wird man am Abend des 9. Mai sehen. Gewinnt Rüttgers, ist Merkel gerettet. Verliert er, dürfte sie den Weg Schröders in dessen zweiter Amtszeit gehen.

Im letzteren Fall, also hinterher, lässt sich vielleicht behaupten, das alles habe man vorher schon wissen können. Das Pech von Merkel und Westerwelle bestehe darin, dass sie vier Jahre zu spät an die Regierung gekommen seien. 2005 hatte die Kanzlerkandidatin der Union angekündigt, sie wolle marktradikal durchregieren. Die Vorzeichen standen rein ökonomisch nicht schlecht: Gerade hatte eine Konjunkturerholung eingesetzt, die US-amerikanische Kreditspekulation boomte und stimulierte die deutsche Ausfuhr. Die Umstände waren sogar so günstig, dass sie in letzter Minute fast noch den Kanzler Schröder gerettet hätten. Das Wahlergebnis zwang CDU und CSU in eine Große Koalition; die gute Gelegenheit für die Umsetzung eines unverwässerten schwarz-gelben Programms war verpasst.

Als Merkel und Westerwelle 2009 endlich doch noch gemeinsam regieren durften, wirkten sie bald wie Wiedergänger: Es waren noch dieselben Personen, auch das Programm war das gleiche, aber die Umstände hatten sich geändert. 2005 hatten sie den Staat verabschieden wollen, in der Wirtschaftskrise musste er als Retter gerufen werden. Das verursachte hohe Schulden, und wer dann die Steuern senkt, gibt auf abschüssiger Strecke auch noch Gas. Die Sparpolitik ab Sommer wird die Regierung gewiss nicht beliebter machen.

Wer so argumentiert, verfährt logisch, aber fantasielos. Wunder sind immer möglich, vielleicht dieses Jahr im Mai. Dann wäre eine Machtstruktur gerettet, mit der auch ökonomischer Widersinn ausgesessen werden kann. Mit welchem Thema? Außenpolitik kann Entlastung bringen. Denkbar ist, dass Westerwelle hier eine Chance bekommt. Der Afghanistan-Einsatz ist unbeliebt, der Außenminister könnte sich an die Spitze einer Wendepolitik setzen.

Solider als Wunder allerdings sind Lernprozesse. In der Großen Koalition hat die Kanzlerin gezeigt, wie wandlungsfähig sie ist. Vielleicht erkennt sie, dass die Agenda, mit der sie antrat, veraltet ist. Dann wäre eine Wende in der Wirtschafts- und Sozialpolitik nötig. Mit der FDP ist das allerdings nicht zu schaffen. So müssten Lösungen jenseits von Schwarz-Gelb gesucht werden, und das setzt tief greifende gesellschaftliche Umorientierungen und erfolgreiche soziale Bewegungen voraus. In diesem Fall dauern Wunder etwas länger.

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