Tricksereien um IKEA und »Fritten-Kontor«

Wie in Hamburg das demokratische Instrument des Bürgerbegehrens ad absurdum geführt wird

  • Susann Witt-Stahl
  • Lesedauer: 3 Min.
Wenn es darum geht, Bürgerentscheide zu verhindern, arbeiten Hamburgs Politiker nach allen Regeln der Trick- und Täuschungskunst – wie die »Nepper, Schlepper, Bauernfänger«, vor denen Fernsehermittler Eduard »Ede« Zimmermann einst so eindringlich gewarnt hatte.

Tatort Isebek-Kanal Hamburg-Eimsbüttel: Eine Anwohner-Initiative hatte 2008 im rot-grün regierten Bezirk einen Bürgerentscheid auf den Weg gebracht. Dieser sollte an dem drei Kilometer langen Kanal, einem beliebten Naherholungsgebiet im Stadtteil Hoheluft, den Bau eines 25 Meter hohen Bürokolosses mit einem riesigen McDonald’s-Restaurant im Erdgeschoss und einer Tiefgarage verhindern. Für den Gebäude-Komplex sollen öffentlicher Grund privatisiert und große Teile des Grüngürtels im Bereich einer U-Bahn-Station gerodet werden. Der Rückhalt für die Initiative »Hände weg vom Isebek!« war groß, mehr als 12 500 Eimsbüttler unterstützten den Antrag mit ihrer Unterschrift.

Knapp zwei Monate später stimmten die Volksvertreter dem Bürgerbegehren zu – ein Vorgehen, welches das Bezirksverwaltungsgesetz ausdrücklich ermöglicht und einen Bürgerentscheid überflüssig macht. Dass die Bagger anrollen und die Motorsägen ihr Zerstörungswerk am Eimsbüttler Grünzug aufnehmen, sei damit abgewendet, glaubten die Anwohner. Ein Irrtum: Einen einstimmigen Beschluss des Bebauungsplans inklusive Hoheluft-Kontor durch den Stadtplanungsausschuss konnten die Vertrauensleute des Bürgerbegehrens im April vergangenen Jahres nur durch eine einstweilige Anordnung des Hamburger Verwaltungsgerichts aussetzen lassen. Die Verfügung wurde zwei Monate später vom Oberverwaltungsgericht bestätigt, das zudem feststellte: Das Bürgerbegehren, das von »Hände weg vom Isebek« initiiert worden war, ist zulässig, der Bürgerentscheid herbeizuführen.

Das Spiel begann von vorn: Eine Mehrheit der Bezirksversammlung aus CDU, GAL und SPD vereitelte im August erneut den Entscheid durch Übernahme des Bürgerbegehrens. Dann der Gipfel: Zwei Tage nach der Bundestagswahl präsentierte das Bezirksamt Eimsbüttel erneut eine Beschlussvorlage für den Bau des »Fritten-Kontors«, wie der geplante Bürokomplex von vielen Anwohnern verächtlich genannt wird.

Was von Juristen als »Scheinübernahme« des Bürgerbegehrens bezeichnet wird, ist für Harald Duchrow, Sprecher der Isebek-Initiative, schlichtweg »Täuschung der Bürger«. Der Versuch der rechtswidrigen Umgehung des Bürgerentscheids durch Zustimmung und anschließenden Widerruf der Zustimmung ist der Bezirksversammlung unwürdig und widerspricht dem Geist des Bezirksverwaltungsgesetzes.

Duchrow und anderen Naturfreunden bleibt nichts anderes übrig, als mit einem zweiten Bürgerbegehren »für die Respektierung des Bürgerwillens in Eimsbüttel!« auf »das beschämende Schauspiel« der Volksvertreter seines Bezirks zu reagieren. 9500 Unterschriften für das Begehren wurden am Montag an das Bezirksamt übergeben.

Nicht weniger bunt treiben es CDU- und GAL-Politiker am Tatort Altona-Altstadt – ebenfalls um einen unerwünschten Bürgerentscheid zu verhindern: Gegen den umstrittenen Bau einer Ikea-Filiale. Der schwarz-grün regierte Bezirk stimmte vergangene Woche dem Begehren der Anwohner-Initiative »Kein Ikea in Altona!« formal zu. Für die Ansiedlung der Möbelkette hatte es bereits vor einigen Wochen einen vom schwarz-grünen Senat protegierten Entscheid gegeben, welcher durch eine Interessengemeinschaft von Geschäftsleuten vorangetrieben worden war. Diesen hatten die Gegner, die ihren Antrag vorher eingereicht hatten, nicht akzeptiert, weil seine Fragestellung, wie sie kritisierten, einseitig und suggestiv gewesen sowie diverse andere Mängel aufgewiesen habe.

Als feststand, dass das Bürgerbegehren von »Kein Ikea in Altona!« alle rechtlichen Voraussetzungen erfüllte, wurde es einkassiert. Rechtsanwältin Sigrid Töpfer verweist auf die Absurdität der feindlichen Übernahme: »Das hat es noch nicht gegeben: Ein Pro- und ein Contra-Bürgerbegehren für eine und dieselbe Sache, die beide von der Bezirksversammlung unterstützt wurden.« Die Anwohner-Initiative lässt nun gerichtlich feststellen, ob das Verfahren des Pro-Ikea-Begehrens unzulässig war.

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