Kinder ohne Rechte?

Frank Gockel zum Umgang mit Jugendlichen in Abschiebehaft

  • Lesedauer: 3 Min.
Frank Gockel ist Vorsitzender des Bürener Vereins »Hilfe für Menschen in Abschiebehaft«.
Frank Gockel ist Vorsitzender des Bürener Vereins »Hilfe für Menschen in Abschiebehaft«.

ND: Am Sonntag erhängte sich in Hamburg der 17-jährige Flüchtling David M. Auch in Europas größtem Abschiebeknast im nordrhein-westfälischen Büren befinden sich immer wieder Minderjährige. Können Sie sagen, wie viele?
Gockel: Die Frage ist schwer zu beantworten. Seit dem letzten Jahr dürfen die Ausländerbehörden in NRW das Alter der Jugendlichen frei schätzen. Seitdem gibt es zumindest offiziell kaum noch Fälle von Minderjährigen in Haft. Die Dunkelziffer ist jedoch hoch. Unser Verein bekommt von ca. 20 bis 40 Jugendlichen pro Jahr mit, dass sie sich in Haft befinden. Einige von ihnen sind nicht einmal 16 Jahre alt. Die Zahlen sind erschreckend hoch, wenn man bedenkt, dass alle Jugendlichen, zu denen wir nach der Abschiebehaft noch Kontakt hatten, durch die Haft psychisch erkrankt sind.

Die UN-Kinderrechtskonvention verbietet die Inhaftierung von Kindern und Jugendlichen.
Die Bundesrepublik hat die UN-Kinderrechtskonvention mit einem Vorbehalt unterzeichnet. Dadurch gilt sie nicht für ausreisepflichtige Kinder. Es ist ein Skandal, dass wir dadurch in diesem Land Kinder erster und zweiter Klasse schaffen.

Wie ist die Situation in Büren?
In der Regel sind Gefangene 20 bis 22 Stunden am Tag in einer Zelle mit bis zu sechs Personen eingesperrt. Der Alltag besteht aus Fernsehen, Rauchen, Schlafen und der permanenten Angst vor der Abschiebung. Ein besonderes Angebot für Jugendliche gibt es nicht, auch wenn dieses in Nordrhein-Westfalen per Erlass vorgesehen ist. So verbringen die Menschen teilweise Tage, aber auch Wochen und Monate ihres Lebens hinter Gittern. Früher wurden die Jugendlichen in einer besonderen Abteilung untergebracht, in der zumindest für einige Stunden am Tag die Zellentüren offen standen. Die Betroffenen konnten sich auf dem Flur bewegen und es wurden Telespiele für die Freizeitgestaltung zu Verfügung gestellt. Eigentlich nicht mehr als ein Witz, aber auch dieses Angebot wurde in der Zwischenzeit gestrichen.

Konnte Ihre anhaltende Kritik etwas am Umgang der Verantwortlichen mit Flüchtlingen ändern?
Wir haben uns immer wieder an das Innenministerium gewandt und mit jedem Brief wurde die Situation schlechter. Als wir zum Beispiel darauf hinwiesen, dass die Zahl der inhaftierten Jugendlichen steigt, durften die Ausländerbehörden das Alter schätzen und schon war das Problem gelöst. Auf die Nachfrage, warum die vorgeschriebene Betreuung von Jugendlichen nicht eingehalten wird, reagierte das Innenministerium mit mehr Gesprächsangeboten bei den Ausländerbehörden, die als Ziel haben, die Personen abzuschieben. Neu ist auch, dass Menschen, die sehr jung aussehen, der Kontakt zu Journalisten untersagt wird, damit keine Bilder von Kindern nach außen dringen.

Welche Möglichkeiten sehen Sie, dafür zu sorgen, dass die Rechte jugendlicher Flüchtlinge zukünftig von Polizei und Justiz gewährleistet werden?
Wenn die Öffentlichkeit das Thema Jugendliche in Abschiebehaft nicht intensiver in den Fokus nimmt, werden die Rechte weiterhin mit Füßen getreten. Die gesetzliche Kinder- und Jugendhilfe darf nicht weiter als nachrangig zum Aufenthaltsgesetz gesehen werden. Seit der Kohl-Regierung gibt es parlamentarische Bestrebungen aller Parteien, die Kinderrechtskonvention endlich vorbehaltlos anzuerkennen. Trotz der Einigung aller Parteien konnten sich die Innenminister immer dagegen wehren. Hier muss das Parlament sich endlich durchsetzen und sicherstellen, dass alle Kinder Rechte haben.

Fragen: Lenny Reimann

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