Im Schatten des Heiligen Vaters

Ein Buch enthüllt, wie die Bank des Kirchenstaates als Waschanlage für schmutziges Geld fungierte

  • Ingolf Bossenz
  • Lesedauer: 6 Min.

Ihr könnt nicht beiden dienen, Gott und dem Mammon.« Der Evangelist Matthäus irrte gewaltig. Bewies doch das Papsttum nachdrücklich die Vereinbarkeit, ja Zwangsläufigkeit einer derart doppelten Dienerschaft. Spekulieren mit dubiosen Finanzen, Plünderung vatikanischer Kassen, Bestechung und Ämterkauf, schwunghafter Handel mit Devotionalien und Garantiezetteln für das himmlische Heil – das waren keine Ausnahmeerscheinungen, sondern stramme Regeln einer fast 2000-jährigen Geschichte. Ja, man muss konstatieren: Je entwickelter das feudalistische und hernach das bürgerliche Finanzwesen war, desto kühner, kecker und skrupelloser wurden im klerikal-kapitalistischen Komplex die monetären Messer gewetzt, um sich beim Schlachten diverser Goldener Kälber möglichst saftige Stücke absäbeln zu können.

Dass dies keine ferne Vergangenheit ist, die spätestens 1982 mit dem unter der Londoner Blackfriars Bridge erhängten Vatikan-Finanzier Roberto Calvi endete, zeigt der italienische Journalist und Autor Gianluigi Nuzzi. Sein jetzt auf Deutsch erschienenes Buch »Vatikan AG« macht dort weiter, wo normalerweise die Enthüllungen über die finanziellen Machenschaften des Kirchenstaates aufhören. In der Affäre Calvi ging es um manipulierte Börsengeschäfte mithilfe vatikaneigener Firmen, bei denen die Mafia und die politische Geheimloge P2 mitmischten. Nachdem die einem Mikadospiel gleichende Konstruktion krachend kollabiert war, stand die Vatikanbank in den 80er Jahren ebenso tief in den roten Zahlen wie im internationalen Ansehen.

Calvi, Chef der mit dem Vatikan verfilzten Pleitebank Banco Ambrosiano, war gerade noch rechtzeitig von der Mafia liquidiert worden. Nuzzi zitiert einen Staatsanwalt: »Wenn Calvi wirklich ausgepackt hätte, wäre herausgekommen, woher das Geld des Banco Ambrosiano stammte, nämlich von der Mafia, und wohin es floss, nämlich an die Solidarnosc und an die totalitären Regime in Südamerika, die Calvi in einigen Briefen ausdrücklich erwähnt. Diese Geldtransfers gehörten zu einer groß angelegten Strategie, mit der der Vatikan in den sowjetischen Einflussbereich vordringen und den kommunistischen Vormarsch in Lateinamerika stoppen wollte.«

Der Kalte Krieg ging zu Ende und das mit reichlich Blessuren überstandene Desaster sollte sich nach dem Willen des Vatikans nicht wiederholen. Was gelang. Das Desaster, das folgte, war schlimmer. Und es wäre wohl bis heute nicht publik geworden, hätte nicht der 2003 verstorbene Vatikanbank-Insider Monsignore Renato Dardozzi in seinem Testament verfügt, die mehr als 4000 Dokumente, die er im Laufe von über 20 Jahren seiner Tätigkeit im Vatikan zusammengetragen hatte, der Öffentlichkeit zugänglich zu machen – über Gianluigi Nuzzi, der die Unterlagen auswertete und zur Grundlage seines Buches machte.

Was Nuzzi auf rund 350 Druckseiten vor dem Leser ausbreitet, ist verwirrend. Doch genau in dieser Verwirrung liegt die Methode. Die Methode, dass Geld nicht gleich Geld ist. Dass schmutzige Summen zu sauberen Erlösen werden. Geldwäsche nennt man das. »Denn«, so der Autor, »in manchen Fällen fungierte das IOR wie eine Waschanlage für schmutziges Geld.« IOR – Istituto per le Opere di Religione, auf deutsch: Institut für die Werke der Religion. So der offizielle Name der Vatikanbank, deren Diskretion so weit geht, dass sie nicht einmal auf der offiziellen Internetseite des Heiligen Stuhls erwähnt wird. Das IOR verwaltet mehr als fünf Milliarden Euro Ersparnisse von Orden, kirchlichen Einrichtungen und Diözesen weltweit und stellt die Gewinne daraus unmittelbar dem Papst zur Verfügung. So konnte Johannes Paul II. seinerzeit problemlos 100 Millionen Dollar der antikommunistischen Oppositionsbewegung in Polen zukommen lassen.

Der polnische Papst war es auch, der den Kundenkreis der Bank auf alle erweiterte, die bereit sind, einen Teil ihrer Einlagen für »gute Werke« zu spenden. Dieser Anteil wird umgehend abgezogen, die Konten selbst sind steuerbefreit. Man kann also mitten in Rom Geschäfte über eine ausländische Bank abwickeln, für die die Kontrollbestimmungen zwischen Banken sowie internationale Vereinbarungen gegen Geldwäsche nicht gelten. Das IOR kann nicht polizeilich durchsucht, seine Telefone dürfen nicht abgehört und seine Mitarbeiter nicht vernommen werden. Der Vatikanstaat ist das einzige europäische Land, das nicht ein einziges Rechtshilfeabkommen mit anderen Staaten des Kontinents unterzeichnet hat. Eine Einladung an alle Geldrünstigen, ihre Transaktionen in den Schatten des Heiligen Vaters zu stellen.

Was der Calvi-Affäre folgte, war – das belegt Dardozzis Dossier – der Umschlag von der Traufe in einen Dauerregen, der das IOR systematisch durchweichte. Der Prälat Donato de Bonis, ein Vertrauter des am Ambrosiano-Skandal drahtzieherisch beteiligten und später geschassten IOR-Präsidenten Erzbischof Paul Marcinkus, schuf ein in der internationalen Finanzgeschichte beispielloses geheimes Geflecht aus angeblich wohltätigen Stiftungen, über die ebenso beispiellose Ströme von Schmiergeldern flossen, um diese von ihrem üblen Geruch zu reinigen. Dabei ging es auch um Gelder der Mafia und solche der die italienische Nachkriegsgeschichte dominierenden Democrazia Cristiana. Das prominenteste Konto – 1987 unter der Bezeichnung »Stiftung Kardinal Francis Spellman« eröffnet – war das Geheimkonto des siebenmaligen christdemokratischen Ministerpräsidenten Giulio Andreotti, über das allein in zwei Jahren umgerechnet rund 60 Millionen Euro flossen.

All das belegt Gianluigi Nuzzi akribisch und detailliert, was dem Leser ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit abverlangt. Eine Aufmerksamkeit, die den Kontrollbehörden des Vatikans offenbar über weite Strecken abhanden gekommen war, sodass de Bonis mit seinen Stroh- und Hintermännern (Ja, es waren ausschließlich Männer) jahrelang ebenso dreist wie unangefochten agieren konnte.

Und als die Staatsanwaltschaft schließlich ermittelte, ging es dem Vatikan vor allem darum, einen möglichen Imageschaden abzuwenden. Die dabei – wie im aktuellen Missbrauchsskandal – bestens bewährte Strategie lautet: den Ermittlungsbehörden nur das bestätigen, was sie ohnehin bereits wissen; und darüber hinaus nur das preisgeben, was sie in Bälde ohnehin aufdecken würden.

Dreh- und Angelpunkt der Ermittlungen war seinerzeit der Fall Enimont. Das Joint Venture zwischen dem staatlichen Energiekonzern Eni und dem privaten Chemiegiganten Montedison mündete Anfang der 90er Jahre in den größten italienischen Prozess um Schmiergeldzahlungen von Unternehmen an politische Parteien. Und ein immenser Teil dieser Gelder floss über die Vatikanbank.

Damit nicht genug. Als im Gefolge des Enimont-Skandals und anderer Machenschaften in Italien das traditionelle Parteiensystem zerbrach, suchte die Führung der katholischen Kirche nach einem neuen Partner anstelle der im Sumpf der Korruption versunkenen Democrazia Cristiana. An den Bestrebungen, eine »Große Partei der Mitte« zu etablieren, die dann die Macht übernehmen sollte, hatte der Vatikan unmittelbares Interesse. Nuzzi geht dem nie ausgeräumten Verdacht nach, dass ein solches Projekt auch mit Mafiageld realisiert werden sollte, das über die Vatikanbank floss.

Massimo Ciancimino, Sohn von Vito Ciancimino (wegen Zusammenarbeit mit der Mafia verurteilter Exbürgermeister von Palermo) hatte in den 80er und 90er Jahren seinen Vater ins IOR begleitet, wo die Familie unter Tarnnamen geführte Konten und Schließfächer besaß. Nuzzi fragte Massimo Ciancimino, wie lange dieses System funktionierte. »Solange mein Vater etwas zu entscheiden hatte. [...] Die Schließfächer dagegen gab es noch sehr viel länger. Eines sogar bis vor Kurzem ...«

Bis vor Kurzem ... Auch wenn Papst Benedikt XVI. im Herbst vergangenen Jahres nach dem Erscheinen der italienischen Ausgabe von »Vatikan AG« personelle und strukturelle Änderungen in der Vatikanbank verfügte – es ist zu vermuten, dass der Heilige Stuhl noch eine Menge Leichen respektive Schließfächer im Keller seines honorigen Geldinstituts im Nikolausturm verborgen hält.

Gianluigi Nuzzi: Vatikan AG – Ein Geheimarchiv enthüllt die Wahrheit über die Finanz- und Politskandale der Kirche. Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann, Petra Kaiser und Rita Seuß. Ecowin Verlag, Salzburg. 360 S., geb., 22,50 €.

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