»Sozialreportage« mit Fortsetzung

Rechtsradikales Sittenbild in Österreich

  • Hannes Hofbauer, Wien
  • Lesedauer: 2 Min.
Der Skandal um eine Fernsehreportage über rechtsradikale Skinheads in Österreich (ND berichtete) wird zu einer Fortsetzungsgeschichte.

Für eine vorige Woche ausgestrahlte ORF-Reportage »Am Schauplatz« waren zwei rechtsradikale Skinheads einer Versammlung der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) zugeführt worden. Ihren Vorwurf, der Reporter hätte sie angestiftet, »Sieg heil« zu rufen, haben die beiden Skins nun zurückgezogen. Angeblich waren es Polizisten bei der Einvernahme, die Ihnen den unsäglichen Ruf in den Mund gelegt hätten.

Es ist ein Sittenbild der besonderen österreichischen Art: Da dreht ein ORF-Team mit »viel Einfühlungsvermögen« – wie behauptet wird – eine Reportage mit zwei Rechtsradikalen. Die Skinheads werden wochenlang mit der Kamera begleitet. Zu Hause in Wien-Favoriten, einem traditionellen Arbeiterbezirk, sitzen sie lässig vor Hakenkreuzfahnen und Wehrmachtsutensilien auf der Couch und plaudern darüber, wie sie Ausländer hassen und auch schon mal schlagen, wenn sie ihnen auf die Nerven gehen. FPÖ-Chef Heinz Christian Strache ist ihnen zu weich, die NPD wäre ihnen lieber. Also packt sie der ORF in ein Auto und karrt sie zur nächstbesten Versammlung der FPÖ ins 60 Kilometer entfernte Wiener Neustadt. Dort, im Milieu zwischen radikalem Rechtspopulismus und Skinheads, könnte sich die Sozialreportage zuspitzen. »Sagt ihm (Strache) nur, was ihr ihm schon immer sagen wolltet«, gibt ihnen der Reporter Eduard Moschitz mit auf den Weg zum FPÖ-Führer. Strache will dann »Sieg heil« gehört haben, verständigt die Polizei und klagt den ORF wegen politischer Manipulation an.

Im ersten Verhör bestätigen die beiden Skins sowie eine weitere, befreundete Person, dass es Reporter Moschitz war, der sie nicht nur aufgefordert habe, Strache gegenüber ihren Frust über die weiche FPÖ-Politik zu äußern, sondern auch »Sieg heil« zu rufen. Nach großer Medienempörung melden sich die beiden Rechtsradikalen wieder zu Wort und ändern ihre Aussage: Nicht der Reporter sei es gewesen, der sie zur »nationalsozialistischen Wiederbetätigung« – so der Straftatbestand – angestiftet habe, sondern die Polizeibeamten hätten gedroht, sie in U-Haft zu nehmen, falls sie den »Sieg heil«-Ruf abstreiten. Sie seien also zur Falschaussage gezwungen worden.

Verkehrte Welt, in der die Exekutive – angeblich – mit U-Haft droht, wenn keine Wiederbetätigung vorliegt. Und die Journaille ergötzt sich am Ping-Pong-Spiel zwischen Skins, Strache, ORF und Polizei. Stattdessen wäre es hoch an der Zeit, die Verantwortungslosigkeit des gesamten Konzepts dieser Art von »Sozialreportage« anzuprangern. Das Verständnis und die Distanzlosigkeit, mir der das staatliche Fernsehen zwei rechtsradikalen Skinheads gegenübertritt, ist der eigentliche Medienskandal.

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