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Tony Blair mischt im Wahlkampf mit

Großbritanniens Altpremier soll Wechselwähler an Labour binden

  • Reiner Oschmann
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Auftritt dauerte 90 Minuten, lief unter Polizeibewachung ab, brachte ihm zwei stehende Ovationen ein und hatte mit der Vorfahrt seines 7er-BMW begonnen: Tony Blair, Großbritanniens Premier von 1997 bis 2007, hat sich in der vergangenen Woche erstmals seit seinem erzwungenen Abgang vor fast drei Jahren wieder in die britische Innenpolitik eingeschaltet.

In seinem ehemaligen Wahlkreis Sedgefield in der nordenglischen Grafschaft Durham wurde Blair, der heute als Sondergesandter des Nahostquartetts fungiert und mit hoch dotierten Reden seine Amtsjahre versilbert, im Arbeiterklub von Trimdon von rund 100 Einheimischen begrüßt. Während draußen fünf Demonstranten Blair auf Irak-Plakaten als Lügner und Kriegsverbrecher bezeichneten, erklärte drinnen der frühere Gewerkschaftsfunktionär Derrick Brown nach der Veranstaltung: »Er hat unsere Batterien aufgeladen. Es gibt eine ganze Reihe in der (Labour-)Partei, die über den Irak-Krieg alles andere als glücklich sind, doch ich glaube nicht, dass Tony eine Belastung ist.«

Der offizielle Zweck des Auftritts, den zahlreiche Journalisten und Fernsehteams begleiteten, war die Unterstützung für Blairs Nachfolger als Wahlkreisabgeordneter. In der Rede, für die der ehemals erfolgreiche Wahlkämpfer seinen Teleprompter aus London mitgebracht hatte, lobte er Labour, die Leistung des von ihm ungeliebten Nachfolgers Gordon Brown und warnte von Labour Enttäuschte davor, bei den voraussichtlich am 6. Mai stattfindenden Parlamentswahlen die von David Cameron geführten Konservativen zu wählen.

Blairs Intervention im Wahlkampf, bei dem die Konservativen in Meinungsumfragen in Führung liegen, trotz verbreiteter Enttäuschung über Labours Regierungsjahre aber keine Begeisterung bei den Wählern wecken, ist mit Parteiführung und Regierung abgesprochen. Premier Brown erklärte: »Ich begrüße Tony Blairs Wahlkampfeinsatz und freue mich über sein Urteil, dass von der Konservativen Partei für die Bevölkerung wirkliches Risiko, wirkliche Gefahr und echte Bedrohung ausgeht.«

Auch Labour-Strategen mutmaßen, ob die Einbeziehung Blairs in den Wahlkampf Fluch oder Segen bereithält. Der kommunistische »Morning Star« meinte in einem »Dead Man Walking« überschriebenen Leitartikel, »Blairs Wiederauferstehung verringert Labours Aussichten auf einen Wahlerfolg immens. Blairs Traum von einer Labour-Mittelschicht ist tot, die Partei will das bloß nicht kapieren.« Der einstige Labour-Minister Peter Kilfoyle befürchtet, Blairs Rückkehr in den Wahlkampf könne die Partei teuer zu stehen kommen. »Er löst, offen gestanden, sehr große Ablehnung aus – wegen des Irak-Kriegs, aber nicht nur deswegen. Ich glaube, er verkörpert all das, was die Leute an New Labour für falsch halten.«

Doch es gibt auch andere Sichten. Anders wäre Blairs Einbindung in den laufenden Wahlkampf schließlich nicht zu verstehen. Welchen Sinn sollte es ergeben, ihn für begrenzte Zeit wieder anzuheuern – in den nächsten Wochen sind weitere Auftritte geplant –, wenn sich die Labour-Führung von Blairs Engagement nicht auch Vorteile erhoffte. David Hill, früherer Kommunikationsdirektor unter Blair im Premierministersitz Downing Street, äußerte gegenüber dem »Independent«, Blairs Gespür für öffentliche Auftritte, das der heutige Regierungschef Brown nie besessen und nie entwickelt hat, könne »für viele jener unentschlossenen Wähler anziehend sein, die für den offenbar knappen Wahlausgang entscheidend sein werden«.

Auch andere Stimmen aus dem Labour- wie dem konservativen Lager erwarten, dass Blair nach wie vor Anklang bei jenen ehemaligen konservativen Wählern findet, die er bei seinem ersten Wahlsieg am 1. Mai 1997 zur Stimmabgabe für New Labour motiviert hatte. Tory-Führer David Cameron, der im Mai auf den ersten Wahlsieg der Konservativen seit 18 Jahren hofft, sagte, Blairs Comeback lasse ihn unbesorgt: »Es ist schön, ihn mal eine Rede halten zu sehen, für die er kein Geld kassiert.«

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