Extreme Heizkosten – ein Fall von »Rohrwärme«?

Heizkostenabrechnung

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Von den Heizungsrohren in den Wohnräumen (und eventuell auch von anderen Quellen wie einer zentralen Warmluftversorgung fiir Bäder und Küchen) wird in einigen Fällen ein großer Teil der im Haus verbrauchten Heizungswärme abgegeben. Diese Wärme wird in der Regel nicht gemessen. Dies kann in Einzelfällen zu extremen Kostenverschiebungen im Haus führen.

Elisabeth R. aus Eisenhüttenstadt hat zu diesem Thema die Frage:
Mit der Umstellung von Verdunsterheizkostenverteilern (VHKV) auf elektronische Heizkostenverteiler (EHKV) hatte ich schlagartig doppelt so hohe Heizkosten wie vorher. Da kann doch etwas nicht richtig sein, denn ich habe mein Heizungsverhalten nicht geändert. Muss ich die durch die Heizkosten verursachte Nachzahlung von Über 2000 Euro zahlen? Andere Mieter aus meinem Haus haben noch Geld zurückbekommen.

Es kann sein, dass Ihre Heizkostenabrechnung falsch erstellt worden ist und korrigiert werden muss. Ob dies der Fall ist. kann mit Hilfe der »VDI 2077 Rohrwärme« festgestellt werden.

Üblicherweise werden etwa 50 bis 70 Prozent der im Haus für die Heizung eingespeisten Wärmemenge an den in den Wohnungen befindlichen Heizkörpern als abgegebene Wärmemenge registriert.

In einer Reihe von Mietshäusern ist dieser Prozentsatz aber erheblich niedriger. Es gab schon Abrechnnngen der Heizungskosten, in denen nur 7 Prozent der in das Haus eingespeisten Heizungswärme von den Heizkörpern abgegeben wurden.

Dass in diesen Fällen eine verbrauchsabhängige Abrechnung der Heizungskosten Unfug ist, weil weit über 90 Prozent der Wärme irgendwo im Haus unkontrolliert abgegeben und verbraucht wurden, wird jeder einsehen.

Wie kann ich nun feststellen, ob in meinem Haus solch ein Rohrwärme-Fall vorliegt?

Jede Einheit eines elektronischen Heizkostenverteilers entspricht grob gerechnet einer kWh. Nehmen Sie die verbrauchsabhängige Abrechnung der Heizkosten zur Hand und setzen Sie die Gesamteinheiten aller Heizkostenverteiler des Hauses ins Verhältnis zu der im Haus in Kilowattstunden (kWh) gemessenen verbrauchten Heizungswärme. Sie erhalten so die Erfassungsrate (die Größe des Verbrauchswärmeanteils) in Prozent.

Sollte die für Heizung verbrauchte Wärmemenge in MWh angegeben sein, so müssen Sie diese Zahl mit 1000 multiplizieren, um auch hier kWh zu erhalten.

Ist die Erfassungsrate kleiner oder gleich 34 Prozent, so ist die erste und wichtigste von drei Bedingungen zur Anwendung der Richtlinie VDI 2017 mit dem Beiblatt Rohrwärme erfüllt. Ist dies der Fall, so sollten Sie den Vermieter schriftlich zur Neuberechnung der Heizkosten unter Beachtung der VDI 2077 auffordern.

Es kann auch sein, dass die beiden weiteren notwendigen Bedingungen nicht erfüllt sind. Dies muss der Vermieter lhnen dann schriftlich nachweisen. Bestehen Sie auf den schriftlichen Nachweis. Solange der Vermieter den Nachweis nicht führt oder die Korrektur nicht erfolgt, sind die Heizungskosten erst einmal nicht fällig. Da die Heizungskosten in der Regel die teuerste Position der Betriebskostenabrechnung sind, ist die Nachzahlung kleiner als die Heizungskosten insgesamt und die Nachzahlung damit nicht fällig.

Liegt der Prozentsatz der Erfassungsrate im Bereich von 10 Prozent (und weniger), so dürfte die verbrauchsabhängige Abrechnung insgesamt unzulässig sein. Die Heizungskosten müssten dann komplett nur nach Wohnfläche verteilt werden. Außerdem kann der Mieter einen Abzug von 15 Prozent der dann errechneten Kosten geltend machen (so das LG Meiningen am 23. September 2002).

Rohrwärmeprobleme treten vor allem in Häusern mit Einrohrheizungssystem und Fernwärmeversorgung auf. Die Feststellung. ob ein Fall von Rohrwärme vorliegt, ist für die Abrechnungsfirmen ein Mehraufwand. Es ist deshalb nicht sicher, ob alle Abrechnungsfirmen die entsprechende Prüfung auch (immer) vornehmen und Hausbesitzer auf das Vorliegen eines Rohrwärmefalls hinweisen. Und ob die Abrechnungsfirmen dann nur die entsprechend korrigierte Betriebskostenabrechnung an den Vermieter und die Mieter herausgeben werden, ist völlig unsicher.

Deshalb sollten alle Mieter aus Eigeninteresse die erste der drei Prüfungen (Ist die Erfassungsrate kleiner oder gleich 34 Prozent?) auf jeden Fall selbst vornehmen.

Die beiden weiteren Prüfungen betreffen den Anteil an Niedrigverbrauchern im Haus (Ist der Anteil größer 15 Prozent?) und eine hohe Streuung der Verbrauchswerte der Mieter (Ist die Standardabweichung der genormten Verbrauchswerte größer als 85 Prozent?). Diese beiden Prüfungen setzen Detailkenntnisse und entsprechende Informationen voraus, die ein Durchschnittsmieter nicht haben wird. Er wird sich im Falle des Falles Rat beim Mieterverein oder einem entsprechenden Fachmann einholen müssen.

In Extremfällen kann so aus mehreren 1000 Euro Nachzahlung ein Guthaben von mehreren 100 Euro werden.

HARTMUT HÖHNE

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