»Wir müssen aufmüpfiger werden«

Politiker und Betriebsräte diskutierten in Berlin über den Stellenwert der Mitbestimmung

  • Martin Lejeune
  • Lesedauer: 3 Min.
Am Freitag diskutierte Dietmar Hexel, beim DGB-Vorstand zuständig für Mitbestimmung, mit Hubertus Heil (SPD), Klaus Ernst (Die Linke) und Beate Müller-Gemmeke (Die Grünen). Das Thema: »Wirtschaft braucht Mitbestimmung«. Vertreter der Regierungsparteien blieben dem Podium fern.

Betriebsräte seien die Grundlage der Mitbestimmung, für die Arbeitnehmer ein Jahrhundert lang gekämpft haben, so Hexel. »Vor allem in der Krise mit Auftragsschwankungen bis zu 50 Prozent zeigt sich, welche großartigen Leistungen Betriebsräte tagtäglich vollbringen.« Für Hexel ist die Krise ein Strukturwandel, der Jahre anhalten kann und durch 1,5 Prozent Wachstum nicht überwunden wird. Engagierten Betriebsräten sei es zu verdanken, dass die Krise bisher glimpflich verlaufe.

Dennoch gewöhnen sich Arbeitnehmer durch die schlechte Stimmung daran, bis zu fünf Stunden in der Woche mehr zu arbeiten, so eine Umfrage der Hans-Böckler-Stiftung. Sie zeigt auch, dass Arbeitnehmer kein kleines Rädchen sein, sondern respektvoll behandelt und am Ergebnis der Wertschöpfung gerecht beteiligt werden wollen. »Die Politik muss die Freiheit der Arbeitnehmer wieder mehr in Vordergrund stellen«, forderte Hexel vom Parlamentarischen Staatssekretär im Bundarbeitsministerium, Ralf Brauksiepe (CDU), als dieser verspätet eintraf: Brauksiepe bedauerte leicht ironisch, dass er Hexels Vortrag verpasst habe und verlas leidenschaftslos ein Grußwort, an dessen für die Arbeitnehmer wichtigster Stelle er mit einem spöttisch wirkenden Lächeln verkündete: »Für mich gehört die Mitbestimmung untrennbar zur sozialen Marktwirtschaft. Die Bundesregierung ist auf Ihrer Seite, sich für starke Betriebsräte einzusetzen und steht zu einem guten Arbeitsrecht.« Die Betriebsräte lachten auf.

Brauksiepe verließ die Tagung vor der Podiumsdiskussion wieder, auf der Klaus Ernst die Deregulierung des Arbeitsmarktes für die Untergrabung der Mitbestimmung im Betrieb verantwortlich machte: »Durch Leiharbeit trauen sich Menschen nicht mehr, ihre Mitbestimmungsrechte wahrzunehmen. Wer einen befristeten Arbeitsvertrag hat, traut sich z. B. nicht, an Betriebsratswahlen teilzunehmen.« DGB-Vorstand Hexel sprach sich dennoch gegen Zwangsbetriebsratswahlen aus. Wer aber wie Air Berlin die Gründung von Betriebsräten unterdrücke oder wie Schlecker ihre Wahl behindere, solle vom Staatsanwalt verfolgt werden. Beate Müller-Gemmeke forderte zusätzlich eine Erhöhung des Strafmaßes bei der Behinderung von Betriebsratswahlen.

»Die Menschen wollen geregelte Arbeitsverhältnisse«, widerspricht Ernst arbeitgebernahen Umfragen. »Doch diese wurden durch die gesetzlichen Regelungen der rot-grünen Regierung aufgehoben. So wurde z. B. die Zeit, in der Menschen befristet angestellt werden können, verlängert.« Dies sei mitverantwortlich für die abnehmende Geburtenrate, so Ernst.

Hubertus Heil entgegnete der Kritik: »Wir wussten damals nicht, dass die Mitbestimmung durch Scheintarifverträge in der Zeit- und Leiharbeitsbranche in Frage gestellt wird.« Er hält mehr Aufklärung über Mitbestimmung für notwenig. Müller-Gemmeke hingegen schlug einen gesetzlichen Ehrenkodex für Unternehmen vor.

Als Siemens vor Kurzem in Bayern 800 Beschäftigte entlassen wollte, kamen zur Kundgebung während der Arbeitszeit 8000 Arbeiter. »Das war faktisch ein verbotener Solidaritätsstreik«, berichtete Ernst. »Wir müssen aufmüpfiger werden, nur so kriegen wir die Betriebsräte nach vorne.«

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