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Goldene Krisenzeiten?

  • Robert Kurz
  • Lesedauer: 3 Min.
Goldene Krisenzeiten?

»Angst um unser Geld!«: Die Schlagzeilen der Boulevardpresse sprechen dem Volk wieder einmal aus seiner Warenseele. Gestern war es der Schock des Immobiliencrashs und der nachfolgenden Finanzkrise, heute ist es der Schock des vor der Tür stehenden griechischen Staatsbankrotts, der die allgemeine Verunsicherung steigert. Bei jedem neuen Fall erweist sich die Verkettung faul gewordener Kredite als so weit reichend, dass es noch in großer Entfernung Leidtragende gibt. Es ist kein Zufall, dass sich die Zuspitzung der Widersprüche auf das Geld als Medium und den Selbstzweck des kapitalistischen »abstrakten Reichtums« (Marx) konzentriert.

Damit stellt sich wieder die lange verdrängte Frage nach der Substanz und institutionellen Verankerung des Geldes selbst. Bis zum 1. Weltkrieg war das kein Gegenstand aufgrund der Goldbindung aller zentralen Währungen. In Krieg und Weltwirtschaftskrise musste diese Bindung gekappt werden. Man machte die Not zur Tugend; Keynes bezeichnete das Gold als »barbarisches Relikt«.

Nach dem 2. Weltkrieg war das Währungssystem von Bretton Woods zunächst im Dollar als Weltgeld verankert, der als einzige Währung noch goldkonvertibel war. Nachdem auch diese letzte Bindung 1973 aufgehoben wurde, ging das globale Geldsystem in frei flottierende Währungsverhältnisse mit zunehmender Unsicherheit über. Der Keynesianismus zerbrach an der Inflation, wie man sie zuvor nur als Folge der Kriegswirtschaften gekannt hatte. Die monetaristische Doktrin des Neoliberalismus versprach zwar noch eine strikte Begrenzung der Geldmenge, aber auch diese formale Bindung wurde unter dem Eindruck platzender Finanzblasen seit der Jahrhundertwende aufgegeben und durch faktische »Nullzinspolitik« der Notenbanken ersetzt.

Jetzt mündet die Geldschwemme, mit der die Defizitkonjunkturen geschürt wurden, in eine schubweise Krise der Finanzmärkte und der Staatsfinanzen. Unter den Ökonomen mehren sich die Stimmen, die mit einer »Remonetisierung« des Goldes liebäugeln, um in einer Art Befreiungsschlag wieder Geldstabilität herzustellen.

Aber die Uhr kann nicht zurückgedreht werden. Wie schon Marx im zweiten Band des »Kapital« zeigte, bildet die Goldproduktion als Basis des Geldsystems eine unproduktive Last, die heute etwa fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausmachen würde; ungefähr die Größenordnung des ebenfalls kapitalistisch unproduktiven militärisch-industriellen Komplexes.

Aber das Problem liegt tiefer. Die Entkoppelung des Geldes von seiner Wertsubstanz entspricht der Entkoppelung der Waren von ihrer Arbeitssubstanz. Das System der Preise ist nur noch formal und hängt in der Luft. Das ist nur ein anderer Ausdruck dafür, dass die Produktivkräfte in der Form des Werts nicht mehr darstellbar sind, wie Marx es voraussagte. Nun schlägt dieser Sachverhalt als schubweise Krise des Geldmediums durch. Es ist kein Zufall, dass sich die Krise der Finanzmärkte rasch auf die staatlichen Garanten des Geldes verlagert hat. Wie immer reißen die schwächsten Kettenglieder zuerst, aber das Problem ist ein allgemeines.

Da ein Sozialismus jenseits der Verwertungslogik und ihres Mediums gegenwärtig im öffentlichen Bewusstsein undenkbar erscheint, werden die Notmaßnahmen nur neue Widersprüche aufreißen, die sich schnell geltend machen. Die Rückkehr des »barbarischen Relikts« könnte die Krisenzeiten nicht vergolden, sondern nur den Fetischcharakter der herrschenden Produktionsweise zur letzten Kenntlichkeit bringen.

In der wöchentlichen ND-Wirtschaftskolumne erläutern der Philosoph Robert Kurz, der Ökonom Harry Nick, die Wirtschaftsexpertin Christa Luft und der Wirtschaftswissenschaftler Rudolf Hickel Hintergründe aktueller Vorgänge.

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