Revolutionäre Hochschulpolitik

US-Präsident Barack Obama will den Einfluss des Staates auf die Unis stärken

  • Tino Brömme
  • Lesedauer: 5 Min.
Obamas Plan: Mehr Bildungschancen für mehr junge US-Amerikaner Foto. AFP
Obamas Plan: Mehr Bildungschancen für mehr junge US-Amerikaner Foto. AFP

Selbst der eingefleischte Amerikaskeptiker, der der Autor ist, kann mit nichts anderem als mit Barack Obamas gewinnendem Lächeln beginnen. Es überzog das Gesicht des begnadeten Redners bei der traditionellen Januaransprache zur Lage der Union, als Abgeordnete beider Parteien im Kongress vor lauter standing ovations nicht mehr zum Sitzen kamen. Dasselbe Lächeln muss Millionen amerikanischer Studenten angesteckt haben, als ihr Präsident am 30. März den »Student Aid and Fiscal Responsibility Act« unterschrieb.

Obama setzte die Unterzeichnung des mit knapper Mehrheit im Repräsentantenhaus beschlossenen Gesetzes wirksam in Szene, indem er den feierlichen Akt am Northern Virginia Community College vollzog. Der Ort war wohlgewählt, nicht allein weil die Ehefrau des Vizepräsidenten Jill Biden dort Englisch unterrichtet, sondern weil das Community College stellvertretend für die anderen 1200 voruniversitäten Hochschulen im ganzen Land steht, an denen sechs Millionen Amerikaner sich beruflich bilden oder auf ihre akademische Laufbahn vorbereiten. Wie die Gesundheitsreform, über die in ein und demselben Gesetzespaket abgestimmt wurde, enthält auch das Studentenhilfsgesetz revolutionäre Elemente, Errungenschaften eines modernen Sozialstaats, echte Verbesserungen für die Masse der Bevölkerung, die die Regierung Obama hart erkämpft hat.

»Seit fast zwei Jahrzehnten haben wir versucht, das Klüngelgeschäft im Bundesgesetz zu beseitigen, das Banken Milliarden Dollar dafür zahlte, dass sie als überflüssige Mittler die Studienkredite abwickelten«, sagte Obama in Virginia. Er dachte dabei gewiss auch an die im Jahr 2007 ruchbar gewordenen »Gefälligkeiten« in Millionenhöhe, die Universitäten im ganzen Land von Banken annahmen, zum Teil sogar verlangten, um dafür zahlungskräftige Studienbewerber an sie weiterzureichen. Das neue Gesetz hat dem einen wie dem andern Missstand – vergeudeten Steuermitteln für einen Dienst, den der Staat besser und günstiger als die Privatwirtschaft anbieten kann, und der grassierenden Hochschulkorruption – den Garaus gemacht. Ab Juli werden die Kredite zur Studienfinanzierung nicht mehr von den Privat- oder Landesbanken vergeben, sondern direkt von der amerikanischen Bundesregierung. Die in den kommenden zehn Jahren auf 61 Milliarden Dollar geschätzten Einsparungen können nun in mehrere Förderprogramme für Unis und Studenten fließen.

Eines der Wahlversprechen Obamas war, den Hochschulbesuch für mehr Amerikaner erschwinglich zu machen. Nach seinem Amtsantritt kündigte er an, Amerika werde 2020 den weltweit höchsten Absolventenanteil aufweisen. Herzstück des Programms ist es, Studenten mit niedrigem Einkommen zu unterstützen. Allein für die Aufstockung und haushaltspolitische Absicherung der so genannten Pell Grants sind 36 Milliarden Dollar eingeplant. Etwa 8,5 Millionen Studierende beziehen heute diese Stipendien, die nicht zurückgezahlt werden müssen, und decken damit ganz oder teilweise die hohen Studienkosten ab. Das Ziel ist, bis 2020 zusätzlich 800 000 »Pell Grants« zu vergeben, weswegen die Einkommensgrenze der Anspruchsberechtigten erhöht wurde. Der jährliche Höchstsatz wurde ebenfalls angehoben und an die Inflation gekoppelt, er liegt jetzt bei 5550 Dollar. Studenten, die bereit sind, innerhalb von zwei Jahren 100 Stunden gemeinnützige Arbeit zu verrichten, können zudem eine einmalige Steuerrückerstattung von 4000 Dollar beantragen.

Doch nicht nur teure Gebühren und Bücher sind ein Problem, die viele vom Studium abhalten, sondern auch die hohe Verschuldung. Mit etwa 23 200 Dollar steht ein amerikanischer Student nach vierjährigem Studium in der Kreide. Doch »in den Vereinigten Staaten sollte keiner pleite gehen, weil er sich entschieden hat, ein College zu besuchen«, verspricht der Präsident. Die monatliche Abzahlungsrate für Studienkredite wurde deshalb (ab 2014) von 15 auf zehn Prozent vom Einkommen gesenkt; alle Restschulden werden nach 20 statt 25 Jahren erlassen. Außerdem wurde das Bildungsministerium beauftragt, die abschreckend komplizierten Antragsformulare für »Pell Grants« zu vereinfachen. Als Teil der allgemeinen Krankenversicherung wurde im Gesundheitsgesetz verankert, dass Studierende bis 26 Jahre familienversichert bleiben können.

Diese gesamte Programmatik zur Erhöhung der Studienbeteiligung wird um drei kompetitive Förderschienen für Hochschulen ergänzt, um die Abbrecherraten zu senken. Sollte sich nämlich der gegenwärtige Trend fortsetzen, so die nationale Statistikagentur NCES, würden den USA im Jahr 2020 vierzehn Millionen Arbeitskräfte auf Collegeaniveau fehlen. Drei Bereiche werden mit insgesamt fünfMilliarden Dollar gefördert: innovative Programme an Universitäten, die mehr Studierenden zum Abschluss verhelfen, historische Schwarze Hochschulen und Hochschulen für ethnische Minderheiten sowie die eingangs erwähnten Community Colleges, die ihre Lehre und berufsvorbereitenden Angebote verbessern.

Das Geschick und die politische Tragweite, die in diesem umfassenden Wurf stecken, können nicht überschätzt werden. Die Obama-Administration nutzte den historischen Moment der durch die Banken verursachten Wirtschaftskrise, um Finanzkolossen wie Sallie Mae das milliardenschwere Studiengebührengeschäft zu entreißen. Ohne diese Milliarden wäre das Bildungsgesetz nicht steuerneutral zu realisieren gewesen; und ohne es in einem Paket mit der Gesundheitsreform zu verschnüren, wäre es nicht durchs Repräsentantenhaus gekommen.

Barack Obama und sein Stab haben auch die traditionell isolationistische Sicht amerikanischer Bildungspolitik überwunden und die investitionsstarken Konkurrenten auf dem Weltmarkt des Wissens analysiert und von ihnen gelernt. Mit der Verstaatlichung eines zuvor privatisierten Marktes übertrifft er die Europäer jedoch um Längen an Mut und Weitsicht. Die europäischen Staaten sollten sich ihren Vorsprung zurückholen und die Idee in die Tat umsetzen, in Brüssel einen gemeinsam finanzierten staatlichen Fonds für die Ausbildungsförderung aller europäischen Studenten zu gründen.

Insgesamt gibt es in den USA 5758 Hochschuleinrichtungen, an denen 18 200 000 Personen, d. h. 4,75 Prozent der Bevölkerung studieren. 19,5 Prozent der Bevölkerung haben ein College besucht, aber keinen Abschluss erworben, 27 Prozent haben einen Bachelor oder höheren Abschluss. Die Bundesstaaten wenden jährlich 289 Milliarden Dollar als Subventionen für die Hochschulen auf. Dem Bundesbildungsministerium (U.S. Department of Education) stehen im Steuerjahr 2010 rund 160 Milliarden Dollar zur Verfügung. T.B.

Der Autor ist Leiter der Agentur für Europäische Hochschulnachrichten ESNA (www.esna.tv)

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