Der Traum und das Trauma

»Liebeserklärung in K.« und »Sonnenflecken über Pisa« – zwei Tagebücher von Hanns Cibulka

  • Hans-Dieter Schütt
  • Lesedauer: 4 Min.
Hanns Cibulka
Hanns Cibulka

»Man muss sich in acht nehmen, dass man in seiner täglichen Arbeit nicht zu keimfrei wird.« Das ist so ein Satz des Dichters Hanns Cibulka, geschrieben 1974 in den Tagebuchaufzeichnungen »Liebeserklärung in K.«, ein Satz, der wie sein gesamtes Werk leise daherkommt, aber doch bestimmt und sicher in Maßstab und Mahnkraft. Nicht keimfrei zu werden – für Cibulka, diesen nahezu asketischen Randbewohner jenseits der Täuschfarben, bedeutet dies: bescheidenes Vertrauen in die Wirkungskraft des Wortes; dieses Vertrauen konsequent leben, mit dem authentischen Pathos eines Menschen, der trotz allem, was im Zeitstrom gegen die Poesie spricht, doch glücklich alternativlos in Sprache lebt.

Hanns Cibulka, 1920 geboren im mährisch-schlesischen Tuchmacherstädtchen Jägerndorf, vom Zweiten Weltkrieg nach Thüringen verschlagen, Jahrzehnte lang Bibliotheksleiter in Gotha – er ist einer der großen deutschen Tagebucherzähler gewesen. Ein Werk der hoch gebildet sinnierenden, erinnerungsdringlichen Prosa, die Geografie auf wenige Punkte konzentriert: das Polen und Italien des Krieges, die Ostsee, Thürigen, die Heimat am Fuße des Altvatergebirges.

Zwei der Tagebücher, besagte »Liebeserklärung in K.« und »Sonnenflecken über Pisa«, sind über ein Besonderes verbunden – die Tragik einer Generation, die das Feuer des Krieges und das heitere Leuchten der klassisch berührten Gegenden zugleich kennenlernte, eine Generation, die den edlen und heiteren Herkunftsort großer früher Menschengedanken in jenem Moment erlebte, da sie diesen Ort zu zerstören trachtete. Im Pisa-Text fährt Cibulka, auf den Spuren von Ezra Pound, nach Italien, das Land seiner Kriegs- und Bildungserfahrungen. Durchströmt ist dieses Tagebuch, dem sich Cibulkas Aufzeichnungen »Nachtwache« aus dem sizilianischen Kriegsjahr 1943 anschließen, von Verlorenheit, von Selbstbewahrung aber auch – durch Anpassung wie durch Seelenflucht in Literatur und Geschichte.

Cibulka macht ein Verlangen kenntlich, dem keine Illusion mehr Genüge tun kann: dem nach Heimkehr. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit fordern wir nicht diese selber zurück – die Rückkehr aber zum Ort einstiger Lebensphasen scheint das inzwischen Verflossene aufzuheben und die täuschende Ahnung zu erwecken, am alten Ort selber wieder der Alte, ergo: der Jüngere von einst zu sein. Nichts anderes ist wohl der geheime Impuls aller Reisen in die eigene Vergangenheit. Cibulka benennt dafür wieder einen Goethe-Gedanken: »Die weite Welt, so ausgedehnt sie auch sei, ist immer nur ein erweitertes Vaterland und wird, genau besehen, uns nicht mehr geben, als was der einheimische Boden auch verlieh.«

Dieser einheimische Boden aber: Es ist bei Cibulka der Verlust desselben. Dieser Soldat ist nie wirklich aus dem Krieg heimgekehrt, und fortan erzählt er die stets gleiche, wahrhaftige Geschichte: Man überlebt nicht alles, von dem man meint, es überstanden zu haben. Nach wie vor am erschütterndsten, am reinsten finde ich das in schon erwähnter »Liebeserklärung in K.«, einem Tagebüchlein, das man durchaus als Schlüssel zum Werk Cibulkas bezeichnen kann.

In Briefen Goethes an Charlotte von Stein lesend, wird dem Dichter sein eigenes Schicksal bewusst und das Wesentliche, Unvollendete seines Daseins noch einmal lebendig: die Liebe des Wehrmachtssoldaten zur Polin Halina, im Winter von Kremenez. (»Ich hätte es nicht für möglich gehalten, daß es Menschen gibt, die ein Leben lang in uns weiterleben.«)

Halina begegnet dem Leser in fast allen Büchern des Autors; aber in diesen unscheinbar daherkommenden Tagebuchnotizen aus K. vollzieht sich eine berührende Geschichte, die 1974 in der DDR erschien und vielleicht just dieser Unscheinbarkeit ihre Veröffentlichung verdankte: der deutsche Soldat des Zweiten Weltkrieges als Opfer, als Getriebener, als schuldlos Verstrickter, dessen Weg doch ins Unvermeidbare geht, der hilflos in Geschichte gefesselt ist – und unmerklich weitet sich das Bild zur Skizze einer allgemein menschlichen Grundsituation. In die alle Reminiszenzen über Goethe und dessen Briefe wie ein stummer Sehnsuchtsschrei hineinwirken.

Cibulka, der 2004 in Gotha starb, ist Vertreter eines tief melancholischen Erinnerungsverfahrens; nachdem Zerfall der Gewissheit, Heimat sei ein rettbarer Ort, wird der Diskurs zwischen Leben und Literatur, wie er im Text erkaltet und sich objektiviert, mit dem stetig gleichen Gedächtnismaterial immer wieder neu in Gang gesetzt. Cibulka ist gleichsam ein Wanderer, ein tief bedenkender Beobachter, der Trost und Traum findet, – in Erinnerung und deren Verknüpfung mit den verpflichtenden, befreienden Gedanken der griechischen und deutschen Klassik, mit den Ideen der Aufklärung.

Der Tod mag die Substanz des Universums sein, die Substanz des von Hanns Cibulka Erinnerten ist das Leben – in seiner häufigst vorkommenden Erscheinungsform: der verletzten Liebe.

Cibulkas Werk erschien im Mitteldeutschen Verlag Halle/Saale und im Reclam-Verlag Leipzig.

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