Der polizeiliche Reflex: Anzeige wegen Widerstandes

Der schwarze Deutsche Kangni A. zeigte Polizeibeamte an – und ist nun selbst Angeklagter / Unterstützer sehen Rassismus

  • Dieter Hanisch, Niebüll
  • Lesedauer: 3 Min.

Können aus Opfern Täter werden? Immer wieder müssen sich Gerichte mit Fällen wie dem von A. aus Westerland/Sylt beschäftigen, wenn nach einer Strafanzeige gegen Polizeibeamte die Uniformträger mit einer Anzeige wegen Widerstandes gegen Vollzugsbeamte reagieren.

Eine unkluge oder missverständliche Bemerkung in einer Stresssituation, das Nicht- oder zu langsame Befolgen einer Anordnung oder eine falsche Bewegung sorgen in manchen Momenten schnell für eine Eskalation. Genau mit solch einer Situation muss sich am Mittwoch auch das Amtsgericht in Niebüll auseinandersetzen. Unterschiedliche Darstellungen erschweren die Wahrheitsfindung. Brisanz birgt der Fall deshalb, weil der Angeklagte Kangni A. in Togo geboren ist und wegen seiner schwarzen Hautfarbe im Alltag bereits rassistische Erfahrungen gemacht hat. Seit über fünf Jahren ist der für einen Reinigungsdienst arbeitende A. deutscher Staatsbürger – genau wie seine Frau und sein 14-jähriger Sohn.

Der in Nordfriesland beheimatete Verein »Entwicklung und Projekte für Frauen und Kinder in Afrika« solidarisiert sich mit dem 47-jährigen A. und spricht bei dem Vorgehen gegen diesen von Rassismus. Um Öffentlichkeit herzustellen, ruft die Gruppe für Mittwoch um 10 Uhr zu einer Demonstration vor dem Rathaus auf. Jules Tekpo von dem Verein fordert Aufklärung, Gerechtigkeit und Fairness. Er betont: »Ein schwarzer Deutscher hat dieselben Rechte und Pflichten wie ein weißer Deutscher!«

Hintergrund ist ein Vorgang vom 9. September 2009, als A. mit seinem Sohn zu einem Nachbarschaftsstreit stößt, bei dem die Polizei gerufen wurde. Diese fordert ihn auf, sich auszuweisen. Sein Hinweis, dass er den Pass holen wolle, weil er gleich im Nebenhaus wohne, wird nach seinen Angaben nicht beachtet. Als er sich dennoch umdreht, um seine Dokumente zu holen, kommt es zum polizeilichen Pfeffersprayeinsatz, bei dem A. kurzzeitig das Bewusstsein verliert und sich später in Handschellen wieder findet. Offenbar hat die Polizei A. nicht geglaubt und ging von einem Fluchtverhalten aus. Die Polizeipressestelle will auf ND-Nachfrage wegen des laufenden Verfahrens keine Stellung nehmen.

Sohn Folly holt jedenfalls seine Mutter und die geforderten Papiere. Als sich die Ehefrau zu ihrem am Boden liegenden Mann hinwendet, obwohl ihr dies von den Beamten untersagt worden ist, werden auch ihr Handfesseln angelegt. Ein später bei ihr festgestellter Rippenbruch unterstreicht, dass das polizeiliche Handeln alles andere als zimperlich vor sich ging. Kangni A. wird sogar noch ins Krankenhaus eingeliefert.

Mindestens drei unabhängige Zeugen haben den Ablauf verfolgt. Zwei von ihnen haben ihre damalige Aussage gegenüber der Polizei nicht unterschrieben, weil sie wegen sprachlicher Schwierigkeiten nicht alles verstehen konnten. Als sie jetzt im Vorfeld des Prozesses noch einmal im Beisein von Dolmetschern damit konfrontiert werden, bestreiten sie die Richtigkeit der Aussageprotokolle. Die Ermittlungen wegen A.s Anzeige sind inzwischen eingestellt worden. A., nun selbst Angeklagter, beteuert, dass er zu keinem Zeitpunkt aggressiv gegen die Polizeibeamten aufgetreten sei – auch nicht verbal.

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