Finsteres Kammerspiel

Die 90. Händelfestspiele in Göttingen eröffneten mit »Tamerlano« – und einem Wechsel

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 3 Min.
Tamerlano (Christopher Ainslie), Irene (Franziska Gottwald)
Tamerlano (Christopher Ainslie), Irene (Franziska Gottwald)

Mit den 90. Händelfestspielen in Göttingen geht eine Ära ihrem Ende entgegen. Zur Eröffnungspremiere war es noch top secret: Nach zehn Jahren wird dem Briten Nicholas McGegan sein Landsmann Laurence Cummings als künstlerischer Leiter der ältesten deutschen Händelfestspiele nachfolgen. Diese Personalie ist weder spektakulär, noch kündigt sie eine Revolution der Händel-Rezeption an. Sie steht eher für die Kontinuität der Verbindung zwischen der Göttinger Händel-Pflege zur zweiten, der englischen Heimat des in Halle geborenen Komponisten. Cummings, Dirigent, Cembalist, gehört zu den Protagonisten der historischen Aufführungspraxis und ist u. a. seit 1999 musikalischer Leiter des London Handel Festivals.

Zu McGegans Verdiensten gehört der musikalische Standard – szenische Wagnisse unterliefen ihm eher, als dass sie Programm waren. Ähnlich war es auch mit dem zum Event gemachten »Admeto« des letzten Jahres, den Doris Dörrie dann doch nur fernöstlich ausstaffierte. Zu McGegans bleibenden Verdiensten gehört vor allem das vor vier Jahren etablierte FestspielOrchester Göttingen. Das Prinzip ist dem des Bayreuther Festspielorchesters vergleichbar: Hier finden sich nämlich jährlich Musiker aus den besten Spezialensembles der Alte-Musik-Szene aus aller Welt auf Zeit zusammen.

Auch bei der aktuellen »Tamer- lano«-Premiere sicherte McGegan mit diesem Orchester einen festspielwürdigen Standard der heute gängigen historischen Musizierweise. Bei der Auswahl seiner Sänger hatte er diesmal allerdings keine so glückliche Hand. Immerhin boten sie fast durchweg souveräne Gesangstechnik, aber beim ariosen Glanz und der eloquenten Geschmeidigkeit kamen die Protagonisten über ein solides Mittelmaß diesmal nicht hinaus. Zumindest, wenn man es mit dem vergleicht, was die kleineren Händelfestspiele in Karlsruhe mit ihrem sensationellen »Ariodante« in diesem Jahr schon geboten haben.

Die Inszenierung der jungen Schwedin Johanna Garpe übersetzt den emotionalen Flurschaden, den die Siegerwillkür des Tartarenherrschers Tamerlano unter seinen Gefangenen und potenziellen Verbündeten anrichtet, ohne plakative Aufdringlichkeit, in ein finsteres Kammerspiel. Die beiden beweglichen, Twin-Tower-ähnlichen Großskulpturen auf der ansonsten leeren Bühne von Martin Kukulie greifen das, ohne gleich eine vordergründig plakative Parabel daraus zu machen, ebenso auf, wie die Fantasie-Weltkarte und die monströse Herrscherbüste den fortschreitenden Größenwahn des Tyrannen Tamerlano belegen.

Dass Tamerlano (Christopher Ainslie) die Tochter seines türkischen Gefangenen (als Bajazet zu grob: Thomas Cooley) begehrt, dafür sogar seine Verlobte, Prinzessin Irene (mit Verve: Franziska Gottwald), zeitweise verschmäht und den Selbstmord des Türken aus verletzter Ehre in Kauf nimmt, ist eine Steilvorlage für einen Clash der Kulturen. Dem spürt die Regisseurin im Geflecht der Beziehungen und Obsessionen sensibel und durchaus mit spielerischem Witz nach.

Wie die Weltmachtarroganz mit fundamentalistischen Ehrbegriffen kollidiert, das zeigt die Regie grundsätzlich aber auch in kleinen Gesten der liebevollen Annäherung zwischen dem Griechenprinzen Andronico (Altus Clint van der Linde) und der Türkin Asteria (Kristina Hansson). Deren intime Momente als bedrohtes Liebespaar sind denn auch musikalisch die überzeugendsten des ganzen Abends.

Am Ende heiratet Tamerlano zwar seine Irene, doch man hört im betörenden Schlussgesang vor allem die menschlichen Tragödien von Willkür, Verrat, Erniedrigung und Tod, die es auf dem Weg dorthin gab, deutlich durch.

Nächste Vorstellungen: 22., 23. und 25. Mai

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