Feilen, biegen, bohren und bürsten

Trotz Kampagnen wie dem Girls' Day sind technische Berufe und Studiengänge nach wie vor eine Männerdomäne

  • Kai Walter
  • Lesedauer: 6 Min.
Mädchen schließen ihre Schulausbildung im Durchschnitt mit besseren Ergebnissen ab als Jungen, aber sie entscheiden sich nach der Schule überproportional oft für »typisch weibliche« Berufsfelder. In vielen Branchen wird in den kommenden Jahren jedoch ein erheblicher Fachkräftemangel erwartet, besonders in technischen Bereichen. Um Berührungsängste für Mädchen in technischen Berufen abzubauen, gibt es seit 2001 jährlich den »Girls' Day«.
Humi beim körnen
Humi beim körnen

Die 16-jährige Humi ist überpünktlich in der Schule. Aber nicht wie normalerweise in der Hugo-Gaudi-Schule. An diesem Tag ist sie in die Hans-Böckler-Schule, dem Oberstufenzentrum (OSZ) für Konstruktionsbautechnik in Berlin-Kreuzberg, gekommen. Mit dem knackigen Motto »Alle Mädchen sind schlagkräftig« hat die Böckler-Schule am Girls' Day Mädchen in die Metallbauerwerkstatt und in die Lehrschmiede gelockt. Ziel ist es Mädchen zu vermitteln, dass sie weder zu schwach noch zu ungeschickt sind, um in technischen Berufen Anerkennung zu finden.

Die insgesamt 26 Mädchen, die an diesem Tag in die Berufsschule kommen, sind zwischen 12 und 16 Jahren alt. Das Angebot der Schule für den Girls' Day ist ausgebucht. Die Gruppen sind klein gehalten, um den Mädchen einen praxisnahen Einblick geben zu können. Schulleiter Thomas Pinnow würde den derzeit bei drei Prozent liegenden Anteil weiblicher Azubis an der Böckler-Schule gerne steigern.

Vielleicht ist es ein Versprecher, vielleicht aber auch Ausdruck der Prägung in ihrem Arbeitsumfeld. Kristin Ludwig jedenfalls fragt die 12 Mädchen in der Metallbauerwerkstatt: »Wer hat denn eine Idee, was er nach der Schule mal machen will?« Kristin Ludwig ist als Betreuerin für den Girls' Day zuständig. Sie beschreibt ihren Weg von der gelernten Augenoptikerin zur Lehrerin an einem technischen OSZ. »Die Wege sind nicht immer so geradlinig«, sagt sie und empfiehlt den Mädchen, sich einfach mal einzulassen auf die Erfahrungen. Egal, wie sie sich später entscheiden werden. Ob die Metallbranche eine Option sein könnte, gilt es an diesem Tag auszuloten.

Obwohl in den letzten Jahren die Zahlen der Studienanfängerinnen in technischen Fächern wie Elektrotechnik, Maschinenbau und Informatik erheblich gestiegen sind, liegt der Anteil von Frauen in der Elektrotechnik bei nur knapp zehn Prozent und bei den anderen beiden knapp unter 20 Prozent. Gute Leistungen in naturwissenschaftlichen Fächern reichen den Mädchen oft nicht, um mit Selbstvertrauen in eine technische Ausbildung zu gehen. Sie trauen sich im Gegensatz zu Jungen weniger oft zu, die Anforderungen erfüllen zu können.

Solche Ängste sind allerdings unbegründet. Humi war nicht nur die Erste am Morgen, auch in der Metallbauerwerkstatt geht sie motiviert voran. Die Mädchen sollen ein Metallmännchen bauen, das sie als Buchstütze mit nach Hause nehmen können. Drei Azubis und zwei Lehrausbilder leiten an und helfen ein wenig. Die Mädchen feilen, biegen, bohren, schweißen und bürsten. Während einige der anderen Mädchen noch etwas erschrocken das laute Knistern aus sicherer Entfernung wahrnehmen, will Humi nach kurzer Einweisung selbst ran.

Lehrausbilder Frank Stiehler hat in 20 Jahren als Ausbilder nach eigener Schätzung 500 bis 600 Azubis ausgebildet. Sechs oder sieben Mädchen waren darunter, schätzt er. Genau weiß er, dass nur zwei davon die Ausbildung abgeschlossen haben. Stiehler kennt die Anforderungen und wirkt ein wenig skeptisch, als er die Mädchen in der Werkstatt beobachtet. Dass es so etwas wie »Männerberufe« und »Frauenberufe« überhaupt gibt, liegt an Anforderungen, Rahmenbedingungen und auch an sozialer Wahrnehmung. Mädchen müssen in männlich dominierten Arbeitsumfeldern nicht nur mit Vorurteilen ihrer männlichen Kollegen leben, sondern oft genug mit Rahmenbedingungen, die es Frauen erschweren, sich in einem Job wohl zu fühlen. »Die meisten Betriebe in der Branche sind kleine und mittelständische Unternehmen«, sagt Kristin Ludwig. Da scheitere es oft schon daran, in den Werkstätten zusätzlich Umkleiden oder Toiletten für Frauen einzurichten.

Die drei Prozent junger Frauen an der Böckler-Schule entsprechen ziemlich genau dem bundesweiten Anteil von Mädchen in Metallberufen, wie er sich aus den Statistiken des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) den letzten Jahren ergibt. Neben mangelndem Wissen um Inhalte und Möglichkeiten der technischen Berufe steht bei Mädchen und jungen Frauen oft auch das Image eines Berufes als Auswahlkriterium im Vordergrund.

Liane Kijewski ist vielleicht nicht der Normalfall, aber ein Beispiel dafür, wie sich junge Frauen in Männerdomänen durchsetzen können. Sie widerlegt mit ihrer Erscheinung und ihrem Auftreten das Vorurteil, dass Frauen in Metallberufen maskulin sein müssten oder dazu werden. Die 26-jährige ist nach Abitur, Lehre zur Sport- und Fitnesskauffrau und einiger Zeit im Job dabei umzusatteln. Sie hat nicht nur den Mut aufgebracht, eine begonnene berufliche Karriere abzubrechen, sondern auch den Sprung in einen Metallberuf gewagt. An der Böckler-Schule wird sie zur Mechanikerin für Karosserie- und Instandhaltungstechnik ausgebildet. Allein unter fast 30 männlichen Azubis habe sie sich von Anfang an gut gefühlt. Sie räumt jedoch auch ein, dass »es schon sehr viel Selbstvertrauen braucht, um da klar zu kommen«. Sie könne sich vorstellen, dass es für 17-jährige Realschulabgängerinnen abschreckend wirken kann, wenn »frau« von männlichen Mitbewerbern um Lehrstellen kritisch gemustert wird. Es gebe in den Innungen auch noch immer Meister »der alten Schule«, von denen abwertende Sprüche kommen. Für die Zukunft sieht sie sich gut gerüstet. Die Verbindung von kaufmännischer und technischer Ausbildung sieht sie als ideal an, um sich später mal selbstständig zu machen.

Lehrausbilder Stiehler ist am Ende erstaunt, wie gut die Mädchen mitgemacht haben. Als er zwei Übungsschweißnähte von Humi sieht, kann er kaum glauben, dass sie das wirklich allein geschweißt hat. »Das schaffen von zehn männlichen Azubis am Anfang vielleicht zwei in der Qualität«, sagt er, und Humi strahlt stolz. Die Hände schmutzig, aber um einige Erfahrungen reicher, machen sich die Mädchen auf den Weg nach Hause. Nach etwa fünf Stunden in der Werkstatt habe alle eine selbst gefertigte Buchstütze in der Hand und sie nehmen viele Eindrücke mit. Als Kristin Ludwig am Ende des Tages die Frage stellt, ob sie sich einen Beruf in der Metallbranche vorstellen könnten, reichen die Rückmeldungen von »nie im Leben« bis hin zu »vielleicht«. Ein Mädchen fand den Tag sehr interessant und meint, dass ihre Wertschätzung für Dinge, die in der Metallbranche produziert werden, gestiegen sei.

  • Am Girls' Day 2010 haben mehr als 122 000 Mädchen teilgenommen.
  • Mit mehr als 9600 Veranstaltungen gab es in diesem Jahr einen Rekord. Die Veranstaltungen werden von Unternehmen, Organisationen, Verbänden und Bildungsträgern angeboten und vom Bundesministerium für Bildung und Forschung, dem Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sowie aus Mitteln des Europäischen Sozialfonds gefördert
  • In der regelmäßigen Evaluation des Girls' Day haben die Organisatoren festgestellt, dass die teilnehmenden Unternehmen und Institutionen durch die Erfahrungen mit dem Girls' Day ein stärkeres Engagement zeigen, um junge Frauen zu werben. Die zuletzt steigenden Zahlen von Studentinnen in technischen Studienfächern werden ebenfalls auf den Girls' Day zurückgeführt. K.W.
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