Wenn die Flüsse langsam austrocknen

Wasserstreit in der Grenzregion verschärft sich

  • Gerold Schmidt, Mexiko-Stadt
  • Lesedauer: 3 Min.
Normalerweise werden die Texaner und ihre Vertreter in der USA-Regierung beschuldigt, Kriege um Öl zu führen. In den vergangenen Wochen ist in den Medien südlich und nördlich des Grenzflusses Rio Bravo dagegen immer häufiger von einem Wasserkrieg zwischen den USA und Mexiko die Rede.
In den vergangenen vier Jahren hat Mexiko etwa 1,7 Milliarden Kubikmeter »Wasserschulden« gegenüber den USA angesammelt, um die Auswirkungen einer schon zehn Jahre anhaltenden Trockenperiode in seinen nördlichen Bundesstaaten zu lindern. Auf der anderen Seite der Grenze leiden besonders die Texaner immer stärker unter Wassermangel. Sie verschärfen den Tonfall, um den mexikanischen Nachbarn zu zwingen, die Nass-Schulden zu begleichen. Rick Perry, republikanischer Gouverneur von Texas, schlug Ende April vor, den Mexikanern als ersten Schritt den Finanzhahn für ein Grenzprojekt zuzudrehen. Das hat die Atmosphäre weiter angeheizt. Jeffrey Davidow, USA-Botschafter in Mexiko, sprach jüngst von einem »heißen, aber nicht explosiven Thema«. Messerscharf erkannte er: »Es gibt nicht mehr so viel Wasser wie früher.« Einen Verzicht zu Gunsten Mexikos schloss er jedoch aus. Hintergrund des aktuellen Problems ist ein internationaler Vertrag von 1944. Unter anderem wird darin die Wasseraufteilung zwischen den USA und Mexiko bezüglich des Colorado River und des Rio Bravo - in den USA heißt er Rio Grande - geregelt. Beide Flüsse entspringen in den USA. Während der Rio Colorado auf mexikanischer Seite in den Golf von Kalifornien mündet, stellt der Rio Bravo von der Atlantikküste bis zu den Städten El Paso (USA) und Ciudad Juárez (Mexiko) eine fast 2000 Kilometer lange natürliche Grenze zwischen Texas und den mexikanischen Bundesstaaten Tamaulipas, Nuevo Leon, Coahuila und Chihuahua dar. Die USA konnten ihre Wasserquote von jährlich 1,85 Milliarden Kubikmetern aus dem Colorado River für Mexiko bisher stets erfüllen. Dagegen gerät Mexiko seit 1992 mit seinen an die USA zu überweisenden Quoten von 432 Millionen Kubikmetern aus dem Rio Bravo immer mehr in Verzug. »Nicht ein Tropfen mehr«, das ist die Position der mexikanischen Gouverneure in den nördlichen Bundesstaaten. Sinngemäß argumentieren sie, genauso wenig, wie einem nackten Mann etwas aus der Tasche gezogen werden könne, sei es möglich, aus einem immer flacher werdenden Fluss und leeren Stauseen Wasser für die USA abzuzweigen. Zumal vor der eigenen Haustür wegen der Knappheit Ernten verdorren und Viehbestände zugrunde gehen. Coahuilas Gouverneur Enrique Martinez brachte in dieser Woche den Vorschlag ein, dem großen Nachbarn im Norden als Entschädigung Geld statt Wasser zufließen zu lassen. Im Vertrag von 1944 sind so genannte Wasserzyklen festgelegt. Der alte endet im September dieses Jahres. Theoretisch hätte Mexiko die Möglichkeit, die derzeitige Wasserschuld in den Zyklus 2002 bis 2007 hinüberzuziehen. In der Praxis wäre die dann anfallende Quote von jährlich über 600 Millionen Kubikmetern aus dem Rio Bravo aber noch weniger zu erfüllen als die heute schon erdrückenden 432 Millionen Kubikmeter. Die Texaner sind sowieso weder an einer Geldentschädigung noch an verzögerten Wasserlieferungen interessiert. Sie wollen das immer kostbarer werdende Nass jetzt. Die USA-Regierung mit dem Texaner George W. Bush an der Spitze wird daher in den bisher nicht öffentlichen Verhandlungen nur bedingt Rücksicht nehmen. Ohne dies offen anzusprechen, haben die USA das Wasser des Colorado River als Faustpfand. Und bei steigendem Wasserverbrauch und der Annahme weiterhin ausbleibender Niederschläge sagen auch die USA-Farmer in Kalifornien: »Nicht einen Tropfen mehr«. Angesichts der Machtverhältnisse und einer gewissen Beflissenheit der Regierung unter Präsident Vicente Fox, es den USA recht zu machen, ist der Ausgang des Konflikts bei allen trotzigen Tönen südlich des Rio Bravo vorhersehbar. Mexiko wird so viel Wasser wie eben möglich auftreiben müssen, zu Lasten der eigenen Bevölkerung. Die mexikanischen Bauern hoffen unterdessen auf ein Wunder.

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