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»Ja, es ist Klientelpolitik«

Landtag beschloss Schüler-Bafög – gegen den wütenden Widerstand der Oppositionsfraktionen

  • Wilfried Neiße
  • Lesedauer: 5 Min.

Bedürftige Schüler ab Klasse 11 werden künftig einen finanziellen Zuschuss von bis zu 100 Euro monatlich erhalten. Mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen SPD und LINKE hat der Landtag gestern die Einführung des Schüler-Bafögs beschlossen – gegen den erbitterten, zum Teil hasserfüllten Widerstand der Opposition.

Der emotionale Gipfel war erreicht, als der CDU-Abgeordnete Ludwig Burkardt von »Betroffenheitslyrik« sprach, den Ministerpräsidenten Matthias Platzeck (SPD) ein »bourgeoises Jüngelchen« nannte, dessen Belehrungen er nicht nötig habe.

Zuvor hatte Platzeck leidenschaftlich die Beihilfe für Schüler aus einkommensschwachen Familien verteidigt. »Was nützt alle Modernität, wenn 60 Prozent sagen, es kommt bei ihnen nicht an, ihre Not wird größer.« Deutschland sei das Land, in dem der Bildungserfolg ganz entscheidend vom Geldbeutel der Eltern abhinge. Im Unterschied zu CDU und FDP »nehmen wir diese Realität wahr, und wir nehmen sie ernst«. Platzeck ging auf das Argument der bürgerlichen Parteien ein, soziale Not von Schülern sei kein politisches Thema, das ihnen in ihren Kreisen als Problem begegnen würde: »Vielleicht sollten Sie mal wieder aus der Berliner Vorstadt herauskommen, dann haben sie auch die Chance, wieder über 30 Prozent hinauszukommen.«

Konkret geht es darum, dass Schüler aus armen Familien 50 bis 100 Euro pro Monat als finanziellen Zuschuss erhalten können. Man rechnet mit rund 4000 Menschen, die einen Anspruch auf die Zahlung haben könnten. Die jährlichen Kosten für das Land würden bei sechs Millionen Euro liegen.

CDU, FDP und Grüne ließen kein gutes Haar an diesem Vorhaben. Sie konnten sich auf eine öffentliche Anhörung stützen, bei der zum Beispiel Vertreter des Landkreistages, des Städte- und Gemeindebundes, des Landeselternrates und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft Kritik übten. So nannte der Landesschülerrat das Schüler-Bafög ein »Imageprojekt« der rot-roten Regierung und gab zum Besten, dass dieses Geld weniger für Bildung, sondern wohl mehr für zweifelhafte Vergnügen ausgegeben würde. Auch andere äußerten sich mehrheitlich unzufrieden mit dem Gesetzentwurf, doch ließen sich SPD und LINKE nicht beirren.

Für CDU-Fraktionsvize Dieter Dombrowski ist die Argumentation der Linksparteien »Klassekampfrhetorik«. Er nannte das rot-rote Vorhaben »Symbolpolitik«. Selbstverständlich sprach kein oppositioneller Redner davon, dass ihm die Klasseneinteilung gefällt, wie sie heutzutage schon die Sphäre der Kinder bestimmt. Im Ziel, mehr Kindern aus sozial benachteiligten Schichten den Weg zum Abitur zu ebnen, sei man sich einig, wurde behauptet. Für die Ablehnung wurden durchweg höhere Interessen und Ziele ausgegeben, beispielsweise, ob das nicht gerade üppig vorhandene Geld auf diese Weise »sinnvoll ausgegeben« sei. Für Grünen-Fraktionschefin Marie Luise von Halem ist es nicht ausgemacht, dass die Maßnahme wirklich den Anteil einkommensschwacher Schüler in den Abiturklassen erhöht.

Deswegen werde ja die Wirkung auch überprüft, argumentierten SPD und LINKE. »Eine solche Opposition hat Brandenburg nicht verdient«, sagte Wissenschaftsministerin Martina Münch (SPD), die daran erinnerte, dass 40 Prozent der Studenten beispielsweise Bafög beanspruchen. Es könne sich also auch bei den Schülern nicht um ein Problem von Randgruppen handeln.

Der Abgeordnete Torsten Krause (LINKE) wandte sich zunächst persönlich an Dieter Dombrowski und bat ihn, bei allem Respekt vor seinen schlimmen Erlebnissen – Dombrowski saß in der DDR wegen einer gescheiterten Republikflucht im Gefängnis –, nicht buchstäblich jedes politische Thema mit der DDR und ihrem Ministerium für Staatssicherheit in Verbindung zu bringen. Angesichts des Schwungs, mit dem die Opposition über soziale Not in Brandenburg hinwegging, gewährte Krause Einblicke in die märkische Wirklichkeit: »Wir reden über Menschen, die zwischen einem warmen Mittagessen und dem Kauf von Schulmaterial wählen müssen.« Mit einer finanziellen Unterstützung könnten sie lernen und müssten nicht am Sonntag Zeitung austragen oder in der Woche an der Supermarkt-Kasse sitzen. »Ja, das ist Klientelpolitik«, bekannte er sich. Krause setzte sich auch mit dem ablehnenden Votum des Schülerrates auseinander. Der Rat bestehe aus Jugendlichen mit Laptop und teurer Technik, die sich in die Lage der betroffenen Mitschüler nicht hineinversetzen können und dies auch bekundet haben.

Bildungsminister Holger Rupprecht (SPD) verwies auf ein positives Echo aus vielen Schulen. Die soziale Abstufung, wie sie derzeit anzutreffen sei, »finde ich unerträglich«. Das Schülerbafög sei ein Baustein von vielen auf einem Weg hin zu mehr Gerechtigkeit. Zur offenen Frage, ob Kinder aus Hartz-IV-Haushalten aufgrund von Bundesregelungen eventuell ab Januar aus der Förderung herausfallen, sagte Rupprecht: »Wir werden die Jungen und Mädchen aus den Bedarfsfamilien nicht im Regen stehen lassen. Das verspreche ich an dieser Stelle.«


Kerstin Kaiser (LINKE): »Wir gehen diesen politischen Schritt zügig und trotz großem finanziellen Spardruck, denn er wird von den betroffenen Schülern und Familien dringend erwartet ... Auch in Brandenburg sind die Chancen auf hohe Bildung für Kinder aus einkommensstarken Familien bisher viermal größer als aus einkommensschwachen. Das werden wir ändern. Bildung darf nicht länger vom Geldbeutel der Eltern abhängig sein.«

Marie Luise von Halem (Grüne): »Rot-Rot hat in Sachen Schüler-Bafög nicht etwa das Radar ausgeschaltet und auf Sichtflug umgestellt. SPD und LINKE sind längst im Blindflug unterwegs.«

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