Spielen wie die Wikinger

Auf der Shetlandinsel Fetlar wird die WM im Hnefatafl ausgespielt

  • René Gralla
  • Lesedauer: 3 Min.
Nach der WM ist vor der WM. Sind am 11. Juli in Johannesburg der Schlusspfiff und der Finaljubel verhallt, packt der Fan einer anderen Sportart bereits seine Koffer für das Anschlussevent, knapp drei Wochen später.

Der Denksportler fliegt dann Fetlar, ein knapp 41 Quadratkilometer großes Eiland im Shetlandarchipel, und ruft die Fans am 31. Juli 2010 zu den Welttitelkämpfen in einer Disziplin, die einst von den Wikingern in Ehren gehalten wurde: Hnefatafl, ein strategisches Brettspiel, das einen Überfall von Drachenbootfahrer simuliert und entsprechend populär war in Skandinavien zwischen dem 4. und 12. Jahrhundert, bevor es dem aus dem Süden einsickernden Schach weichen musste.

Ein früher Fall von globalem Verdrängungswettbewerb und allein deswegen äußerst bedauerlich, findet Peter Kelly, Verwaltungsbeamter im Ruhestand und einer der 50 Menschen, die heute auf Fetlar wohnen. Da hat es sich gut getroffen, dass der umtriebige Kirchenälteste der Church of Scotland obendrein einer lokalen Entwicklungsgesellschaft vorsteht, die sich dem Bevölkerungsschwund entgegenstemmen möchte, der letzte Zensus 2001 hatte immerhin noch 86 Insulaner registriert. Folglich sucht Peter Kelly nach neuen Wegen, das kriselnde Fetlar wieder in den Fokus der Öffentlichkeit zu rücken, neben den bisher schon bekannten Attraktionen: ein 2,3 Meter hoher Menhir und ein vorgeschichtlicher Steinkreis, ferner ein Vogelschutzgebiet, wo sich Raritäten wie das Odinshühnchen und die Gryllteiste tummeln.

Mit der Hnefatafl-WM hat der Regionalpolitiker jetzt sein Leuchtturmprojekt gestartet. Zumal er an eine stolze Tradition anknüpft, schließlich hat Fetlars Nachbarinsel Unst im 9. Jahrhundert ein veritables Landungsunternehmen von Norwegens erstem König Harald »Schönhaar« (ca. 850 - 933) gesehen. Kein Zweifel, dass die rauen Gesellen damals an Bord auch den einen oder anderen Hnefatafl-Satz verstauten, und Peter Kelly hat guten Grund zu behaupten, dass ausgerechnet diese stürmische Ecke an Europas Peripherie wahrscheinlich eine frühe Hochburg des Nordschachs war.

Bloß konsequent ist es deswegen, als angemessenen Rahmen für den Relaunch des Hnefatafl gleich eine Weltmeisterschaft zu wählen. Premiere war 2008, immerhin 12 Kandidaten traten an, und den ersten Platz eroberte – auch im Lager der Nordmänner ändern sich die Zeiten – eine Frau, die aus dem englischen Yorkshire angereiste Wendy Sutherland. In diesem Jahr soll das Teilnehmerfeld größer und internationaler werden, fest zugesagt hat ein Vertreter Dänemarks, Mitspieler haben sich per Internet aus New York und Texas gemeldet.

Wer nun darüber nachdenkt, seine Urlaubspläne kurzfristig zu ändern und von Mallorca oder Malediven umzubuchen auf Fetlar, um dort selber Weltmeister zu werden, sollte freilich auf exaktes Timing achten. Das Weltturnier 2010 beginnt am letzten Julisamstag in der Fetlar Community Hall exakt um 11.30 Uhr (MEZ minus 1 Stunde!), und das ist eine echte Herausforderung angesichts der Anfahrt: per Flieger (oder per Fähre von Aberdeen) nach Lerwick auf der Hauptinsel, 26 Meilen Landstraße, in Toft die Fähre zur Insel Yell nehmen, das dauert 20 Minuten. Noch einmal 17 Meilen im Auto bis Gutcher, dort wartet die zweite Fähre, die Fetlar nach 25 Minuten erreicht.

Im Verhältnis dazu sind die Hnefatafl-Partien wahre Spaziergänge. Auf einem 121-Felder-Brett befehligt die eine Seite 24 Wikinger, die aus allen vier Himmelsrichtungen kommen und den König der Gegenpartei samt 12 Leibwächtern attackieren. Der Herrscher versucht, sich zu einer der vier Fluchtburgen in den Ecken des Spielplans durchzuschlagen, und gelingt ihm das, hat er den Kampf zu seinen Gunsten entschieden. Wird der Monarch indes vorher abgefangen und eingekesselt, triumphieren die Angreifer und holen den vollen Punkt.

Gezogen wird auf Kommando, alle zehn Sekunden ertönt ein Gong, und als Lohn der Mühe winken nicht nur die WM-Krone, sondern auch ein Set Hnefatafl aus Holzfiguren, Stück für Stück geschnitzt vom Künstlerehepaar Theresa und George New.

Gleichzeitig darf sich der Sieger fortan »Großmeister« im Hnefatafl nennen – auf Augenhöhe mit den Helden der Sagas, das kann nicht einmal Jogi Löw seinen Kickern in Südafrika bieten.

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