Bilderbibel für Pantheisten

Wilhelm Rudolph, Meister des Holzschnitts, in Dresden

  • Sebastian Hennig
  • Lesedauer: 4 Min.

In Chemnitz, dem »sächsischen Manchester«, wurde, als Enkel und Sohn von Webern, 1889 der Maler und Grafiker Wilhelm Rudolph geboren. Hoch betagt und bis zuletzt unausgesetzt werkend starb er 1982 in Dresden. Er war einer der Wenigen, bei denen sich die kulturpolitische Wunschvorstellung von der Verbindung einer hohen künstlerischen Qualität mit unbestreitbar proletarischen Herkunft zu manifestieren schien. Aber Rudolphs trotziges Klassen- und Klassebewusstsein widerstrebte jeder ideologischen Festlegung. Er fühlte sich selbst als Partei, die immer Recht hat.

Damit steht er in einer langen europäischen Tradition von eigensinnigen Künstlerautokraten, von Rembrandt bis Knut Hamsun. Eine Haltung allerdings, der kaum eine Zeit so ungünstig war wie des Künstlers Lebensepoche. Einerseits fertigte er ein Plakat für die Internationale Arbeiterhilfe, das nichts als ein Abbild seiner Mutter zeigte, andererseits oder ebenso war er seit Dezember 1931 für ein knappes Jahr Mitglied der NSDAP. Selbstbewusst zeigte er sich auch in der Uniform eines Scharführers der SA. Eine Ausstellung in der »Neuen Kunst Fides« wurde 1931 vom nationalsozialistischen »Freiheitskampf« – durchaus zutreffend – so besprochen: »Graphik von dieser Kraft, Eindringlichkeit und Bildmäßigkeit ist in solchem Ausmaße in Dresden noch nicht gezeigt worden, und es ist ein wenig seltsam, dass man das in dieser Kunststadt offenbar noch nicht ganz begriffen hat … Diese Kunst, die fast keine Berührungspunkte mit dem zeitgenössischen Kunstschaffen hat … Das technische Können ist hier eine Selbstverständlichkeit.«

Der Künstler hatte bereits mit seinem ersten Auftreten zu Beginn der zwanziger Jahre beachtlichen Erfolg. Seine Holzschnitte wurden als Musterbeispiele einer spannungsvollen, positiv-völkischen Kunst empfunden. Die fast kunstlose Wiedergabe in monumentalen Vereinfachungen, gleich weit entfernt vom überhitzten expressionistischen Pathos wie auch von sentimentaler Heimatkunst.

Rudolph war ein fruchtbarer und bei seinen Studenten beliebter Professor an der Dresdner Kunsthochschule. Ideologische Vorbehalte drängten ihn zweimal, 1940 und 1949, aus dem Lehramt. Ab den sechziger Jahren wurde Rudolph als unverzichtbarer Protagonist für ein humanistisches Menschenbild empfunden, den man nicht verdächtigt sehen wollte. Die Unterlagen über seinen erneuten Eintritt in die NSDAP im Frühjahr 1933 verschwanden darum in den Archiven und kamen erst nach 1989 wieder ans Licht. 1966 erhielt er den Auftrag für ein Porträt Ulbrichts, was ihm Nationalpreis und materielle Sicherheit einbrachte, aber auch die Missgunst der einheimischen Zunftgenossen noch einmal verstärkte.

Die hinschleichenden Gestalten zwischen den Kriegstrümmern auf den Blättern der Folge »Dresden 1945« zeigen das Schicksal der Ausgebombten, Vertriebenen und Kriegsheimkehrer. Mit grober Strickjacke angetan und mit Rucksack zeigte sich der Nonkonformist Rudolph bis zuletzt in der Dresdner Öffentlichkeit. Ihm, der die geschenkte Goldmark für die Bewerbung an der Dresdner Königlichen Kunstakademie gespart und sich zu Fuß von Chemnitz nach Dresden auf den Weg gemacht hatte und im Februar 1945 mit der Zeichnung der eigenen Wohnhausruine den großartigen Zyklus über das zerstörte Dresden begann, erregte der Konsumismus der späten DDR tiefen Abscheu.

Wie ein Triptychon sind in der Ausstellung drei Aktholzschnitte gehängt. Zur Seite zwei zeichnerisch überarbeitete Querformate aus den letzten Schaffensjahren, in denen Elbtal-Landschaft und liegende Figur mit allegorischer Großartigkeit aufeinander bezogen sind. Auf dem mittleren Hochformat »Stehender weiblicher Akt«, vor 1945, sind die Spuren des gewachsenen Holzes gut zu erkennen, obwohl kaum eine zusammenhängende Schwärze auf dem Blatt zu finden ist. So wie diese unterschwelligen Linien das Bild beleben und stören, so gehen durch Rudolphs Leben harte Spuren einer amusischen Zeit, mit der er sich nicht arrangieren wollte.

Solange doktrinäre Prinzipien die Kunstgeschichte bestimmen, wird man dieses Werk nicht gültig beschreiben können. Am besten hat es bislang der kongenial eigensinnige Leipziger Schriftsteller Horst Drescher ein Jahr vor dem Tod des Künstlers in »Sinn und Form« getan. Wilhelm Rudolphs suggestive Holzschnitte wirken wie eine Bilderbibel für Pantheisten und machen Beschreibungen eigentlich nach wie vor überflüssig. Und gerade so hat es der Künstler gewollt: »Ich hoffte, mit dieser Eindeutigkeit Menschen der verschiedensten Grade ansprechen zu können, und fand, dass sich meine Eindrücke vom Tier, von der Landschaft, dem Menschen usf. in dem widerstrebenden Holz gestalten und unmittelbar ausdrücken ließen.« Mit dem plebejischen Pathos der Reformations-Drucker hat Rudolph seine Weltanschauung unübersehbar in die Welt gebracht.

Wilhelm Rudolph – Meister des Holzschnitts, in der Kunsthandlung Koenitz, Quartier an der Frauenkirche, Dresden, bis 12. Juni, Mo-Sa 10-20 Uhr.

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