Im Zweifel gegen den Angeklagten

Bagatellkündigung nützt nur den Arbeitgebern

  • Ina Beyer
  • Lesedauer: 3 Min.
Der Fall »Emmely« ist nicht das erste skandalöse Urteil seiner Art. Höchstrichterlich wurde schon viel früher über Kündigungen aufgrund von Bagatellen entschieden.

Es ist legendär: Das »Bienenstich-Urteil« läutete 1984 eine neue Ära in der Arbeitsrechtssprechung ein. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) befand damals die fristlose Kündigung einer Bäckereiverkäuferin für zulässig, die ein Stück Kuchen aus der Auslage gegessen hatte. Die Richter beriefen sich dabei auf ein Urteil von 1958. Dort war es um eine Kassiererin gegangen, gegen die der schwerwiegende Verdacht erhoben worden war, sie habe einen Euro weniger gebont und entwendet. Das BAG entschied damals, dass der Sachverhalt sich eigne, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben – abgesehen von den Besonderheiten des Einzelfalls.

Dem Urteil lag die Ansicht zu Grunde, dass auch die Entwendung von Dingen mit geringem Wert geeignet sei, einen wichtigen Kündigungsgrund abzugeben. Ob eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sei, hänge dabei jeweils von den konkreten Umstände des Einzelfalls ab.

Bei einer Verdachtskündigung reicht schon der Verdacht auf ein Fehlverhalten des Beschäftigten, um diesem kündigen zu können. Beweisen muss der Arbeitgeber das Fehlverhalten nicht.

Meist wird dann dabei juristisch über die Frage gestritten, ob ein Bagatellfall das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer dauerhaft derart stört, dass eine Weiterbeschäftigung nicht möglich ist.

Gibt man bei der Internet-Suchmaschine Google das Wort »Verdachtskündigung« ein, schlägt Google unter anderem die Suche in Verknüpfung mit dem Begriff »Muster« vor. In dieser Kombination erscheint als oberstes Suchergebnis eine Anleitung für Arbeitgeber.

»In 6 Schritten zur erfolgreichen Verdachtskündigung« heißt es im Inhalt. Ausführlich und übersichtlich geordnet wird erklärt, was der Arbeitgeber beachten muss, wenn er einem Beschäftigten eine Verdachtskündigung aussprechen will.

Für die Beschäftigten ist die Rechtssprechung verheerend. Anders als in strafrechtlichen Fällen wird hier die Beweislast komplett umgekehrt. Aus »Im Zweifel für den Angeklagten« wird hier »Im Zweifel gegen den Angeklagten«. Wer unter Verdacht gekündigt wurde, dürfte es auch bei einer anschließenden Arbeitssuche schwer haben, das Vertrauen eines neuen Arbeitgebers zu gewinnen.

Experten gehen davon aus, dass Bagatellkündigungen in den letzten Jahren nicht zugenommen haben. Zumindest aber hat das öffentliche Interesse an derlei Fällen deutlich zugenommen. In den vergangenen Monaten sorgten immer wieder neue Urteile für Empörung.

Das Konstanzer »Maultaschenurteil« um sechs mitgenommene Maultaschen, die ohnehin im Müll gelandet wären. Der Streit um drei Brötchen, jener um ein aus dem Müll gezogenes Kinderbett, um minimale Stromkosten, erzeugt durch die Aufladung des Privathandys im Betrieb ... Kein Grund ist den Arbeitgebern offenbar mehr klein genug, um gleich die Kündigungs-Keule auszupacken.

Dass viele der Betroffenen engagierte Betriebsräte oder sonstwie unbequem für den Arbeitgeber sind, wird dabei zumeist völlig ausgeblendet.

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