Reißnagel im CSU-Hintern

Die Bayern stimmen bald über ein absolutes Rauchverbot ab. Dass es überhaupt soweit kam, ist ein Sieg der ÖDP

  • Rudolf Stumberger, München
  • Lesedauer: 5 Min.
In Bayern rüsten Raucher und Nichtraucher für den entscheidenden Tag: Am 4. Juli stimmt Bayern als erstes Bundesland in einem Volksentscheid über ein ausnahmsloses Rauchverbot in Wirtshäusern und Bierzelten ab. Treibende Kraft auf Seiten der Rauchgegner ist eine kleine Partei, die nicht im Landtag vertreten ist: die ÖDP.

Am Sonntag, den 4. Juli geht es in Bayern nicht um die Wurst, aber um den Blauen Dunst. Darf er wie bisher in kleinen Kneipen und Bierzelten wabern oder wird der Freistaat zur rauchfreien Zone? Darüber können die Bürger an jenem Tag bei einem Volksentscheid abstimmen. Zur Wahl steht ein Gesetzesentwurf, der die derzeit geltenden Raucherbestimmungen ver- schärft. So soll das Rauchen auch in Bierzelten und bei Weinfesten verboten werden. Pikant daran ist, dass damit ein Gesetzeszustand wieder eingeführt wird, der bereits einmal von der regierenden CSU beschlossen wurde.

Doch damals kam aus den Reihen der Gastronomie und der Raucher ein so scharfer Widerspruch, dass sich die CSU zu einer Abmilderung der Raucherbestimmungen genötigt sah – Bierzelte etwa wurden ausgenommen. Dann jedoch erzwang die kleine Ökologisch-Demokratische Partei (ÖDP) mit einem erfolgreichen Volksbegehren den nun bevorstehenden Volksentscheid.

Die Coups einer Kleinpartei

Die bayerische Staatsregierung lehnt den vorliegenden Gesetzesentwurf zur neuerlichen Verschärfung der Bestimmungen ab. Eine weitere Volte in Sachen Rauch, so glaubt sie, kann sie dem Wähler nicht zumuten. Dagegen ist auch das Aktionsbündnis »Bayern sagt Nein«. Ihm gehören unter anderem der Bayerische Hotel- und Gaststättenverband, der Verband für den Erhalt der Bayerischen Wirtshauskultur, die Vereinigung der Bayerischen Festwirte, der Verband der Wiesnwirte, die Privaten Brauereien Bayern sowie der Bayerische Brauerbund an.

Das Aktionsbündnis macht eifrig Werbung gegen ein verschärftes Nichtrauchergesetz. Wie erfolgreich diese sein wird, ist unklar. Beim dem Volksentscheid vorangegangenen Bürgerbegehren hatten sich überraschend viele Bürgern für mehr Rauchverbote eingesetzt, nämlich 13,9 Prozent der Wahlberechtigten oder fast 1,3 Millionen Menschen.

Das Volksbegehren war damit das bisher erfolgreichste in Bayern und ein weiterer außerparlamentarischer Coup einer süddeutschen Kleinpartei, der ÖDP. Sie ist nicht im Landtag vertreten, bringt aber immer wieder die politischen Verhältnisse im Freistaat zum Tanzen. Als »bayerische APO« bezeichnete einst die Tageszeitung »Die Welt« die Öko-Partei.

Sebastian Frankenberger ist 28 Jahre alt, hat lange schwarze Haare und war früher Ministrant in der gottesfürchtigen Dreiflüssestadt Passau. Heute sitzt er dort für die ÖDP im Stadtrat, seit Anfang Dezember ist er vor allem als der Organisator des erfolgreichen bayerischen Volksbegehrens bekannt.

Frankenberger kam von der Schülerunion der CSU, bis er dort mit seinen grünen Ideen zur Rettung eines Naturschutzgebietes aneckte und in die ÖDP eintrat. »Ein bisschen haben wir auch Geschichte geschrieben«, kommentierte Frankenberger jetzt den eifrigen Zuspruch der Wahlberechtigten. Der Passauer steht prototypisch für die Mitglieder der kleinen Partei, die vor allem im Süden vertreten ist: Rund 4000 ÖDP-Mitglieder gibt es in Bayern, 1000 in Baden-Württemberg und ein paar hundert im übrigen Bundesgebiet.

Aus der bürgerlichen Mitte

Hamburg etwa weist 52 Mitglieder auf, Berlin 71, in Bremen ist ein Mitglied registriert. Das Durchschnittsalter liegt laut Parteiangaben bei 39 Jahren, wobei 40 Prozent der Mitglieder jünger als 35 Jahre sind – eine junge Partei also. 40 Prozent der Mitglieder sind Frauen.

Die ÖDP sieht sich selbst als »Partei der Mitte«, was zunächst nichts Überraschendes ist. Doch ihre programmatischen Aussagen sind ein Mix aus Ökologie, Kapitalismuskritik, Demokratieförderung und Familienfreundlichkeit auf bürgerlichem Boden (»Jede Stimme für die ÖDP ist eine Chance für Demokratie und Ökologie, für Familie und nachhaltige Wirtschaft«).

So kämpft die Partei gegen Atomkraftwerke und hat mit ihrem Bundesvorsitzenden Klaus Buchner gleich den Sachverstand mitgewählt – der Münchner ist Physiker. Und ihr erstes Mandat errang die Partei 1984 im bayerischen Landkreis Schwandorf, damals Schauplatz der Schlachten gegen die atomare Wiederaufbereitungsanlage. Im Bundestagswahlkampf 2009 plakatierte die ÖDP als eine der wenigen Parteien neben der LINKEN direkt das Thema Finanzkrise – sie wendet sich gegen den Neoliberalismus und vertritt ein Konzept nachhaltigen Wirtschaftens. Für sich selbst wirbt sie mit dem Slogan »Spendenfrei« (von großen Konzernen).

In Sachen Demokratieförderung errang die Partei 1998 ihren größten Erfolg, als sie bei einem bayernweiten Volksentscheid 69,2 Prozent Zustimmung für die Abschaffung des Bayerischen Senats erhielt. Der Senat war die zweite Kammer des Landtages, eine Art Ständevertretung, die als weitgehend bedeutungslos galt. Und in Nordrhein-Westfalen erreichte die ÖDP im Jahr 1999 per Klage vor dem Verfassungsgerichtshof in Münster die Abschaffung der Fünf-Prozent-Klausel bei Kommunalwahlen.

Die ÖDP entstand im Jahr 1981 als bürgerlicher Zweig der Ökologiebewegung. Gegründet wurde sie von dem ehemaligen CDU-Bundestagsabgeordneten Herbert Gruhl, der 1975 mit »Ein Planet wird geplündert« einen ökologischen Bestseller schrieb. In den späten 1980er Jahren wurde der Partei vielfach der Vorwurf des Rechtskonservatismus gemacht, was 1989 dann schließlich zum sogenannten »Rechtsabgrenzungsbeschluss« führte, mit dem sich die ÖDP gegen Rechtsparteien abgrenzte.

Mitbegründer Gruhl trat im selben Jahr aus der Partei aus. Heute wird die Partei der linksbürgerlichen Mitte zugerechnet, ihre Mandatsträger rekrutieren sich häufig aus akademischen Kreisen.

Grüner als die Grünen

Pikanterweise vertritt die ÖDP in manchen Punkten inzwischen eine konsequentere (Umwelt-)Politik als die mittlerweile in vielen Bereichen als arriviert und verbürgerlicht geltenden Grünen.

Im Gegensatz zu ihrer Fähigkeit, Teile der bayerischen Bevölkerung hinter Volksbegehren zu versammeln, gelang es der ÖDP aber bisher nicht, auch parlamentarisch Fuß zu fassen. Die Partei kann zwar auf 400 kommunale Mandate verweisen. Die »erfolgreichste nicht-extremistische Kleinpartei Deutschlands«, so die Eigenwerbung, erhielt jedoch bei den jüngsten zwei Landtagswahlen nur zwei Prozent der Wählerstimmen.

Dennoch gelingt es der ÖDP wie jetzt mit dem Nichtraucher-Volksbegehren immer wieder, vor allem die große CSU zu ärgern. So wird auf einem ihrer Wahlplakate die ÖDP als kleiner Reißnagel dargestellt, der gerade in das Hinterteil des bayerischen Löwen mit seinem weißblauen Hütchen sticht.

In den bayerischen Lokalen gewannen seit der Aufweichung des Nichtraucherschutzes Raucher zunehmend die Oberhand. Nur noch 65,3 Prozent der Gaststätten seien derzeit noch rauchfrei, berichtete der Verein Pro Rauchfrei vor wenigen Tagen in Nürnberg unter Berufung auf eine Umfrage unter 7245 Wirten. Die übrigen 35 Prozent der Betreiber hätten ihre Gaststätte entweder offiziell als Raucherlokal deklariert, ließen blauen Dunst in Hinterzimmern zu oder missachteten einfach die gesetzliche Nichtraucherregelung. Der Verein hatte im Rahmen fingierter Gästeanrufe bei bayerischen Wirten angefragt, ob bei ihnen Rauchen erlaubt sei.

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