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Anflug auf Neuschwanstein

Ein bayerischer Pilot veranstaltet Rundflüge mit einem sowjetischen Oldtimer aus der DDR

  • Rudolf Stumberger
  • Lesedauer: 4 Min.
Sommerzeit ist Flugzeit an Bayerns Himmel. Mit unterschiedlichsten Vehikeln bewegen sich Touristen und Luftfahrt-Begeisterte durch die Lüfte, vom Fesselballon über das Leichtflugzeug bis hin zu fliegerischen Oldtimern. Dazu gehört auch der russische Doppeldecker Antonow, der über Schwaben seine Kreise zieht.

An diesem Nachmittag ist auf dem Flugplatz von Bad Wörishofen Familientag angesagt. Flugkapitän Andreas Wild hat das strohblonde Söhnchen Robin an der Hand und guckt mit dem Einjährigen nach Reifen und Fahrwerk. Derweilen steht Ehefrau Martina ganz oben auf dem großen Doppeldecker und tankt Kraftstoff in die Maschine.

»Am Alpenrand könnte es regnen«, sagt der Flugkapitän und blickt skeptisch in den Himmel. Denn in zehn Minuten wird der 47-Jährige wieder mit seiner russischen Antonow AN-2 abheben und mit seinen Fluggästen einen Rundflug in Richtung Neuschwanstein unternehmen. Und dann ist der Fluglehrer wieder der einzige Pilot am bayerischen Himmel, der mit dem größten Doppeldecker der Welt unterwegs ist.

Halterung für Trinkgläser

Das Flugplatz-Café an der Graspiste bei Bad Wörishofen lockt mit frischem Zwetschgendatschi, doch die meisten Gäste kommen wegen der Antonow hierher. So wie das Ehepaar Romer. Zur Goldenen Hochzeit haben Nachbarn und Freunde für Tickets zusammengelegt. »Wir sehen die immer über uns fliegen, jetzt wollen wir das selbst ausprobieren«, sagt Diether Romer. Altersbegrenzungen gibt es bei dem Flug keine. »Die älteste Passagierin war 99 Jahre«, weiß der Pilot zu erzählen. Die AN-2 ist ein mächtiger einmotoriger Doppeldecker, der seit 1947 in der UdSSR gebaut wurde. Vorn sitzt der große Sternmotor mit einer Leistung von 1000 PS, hinten ist der Einstieg für die Passagiere. Neun Fluggäste, darunter zwei Kinder, hat Flugkapitän Wild heute mit dabei. Im Inneren des Oldtimers ist das Ambiente der Luftfahrt von vor 50 Jahren zu bestaunen: kleine Ledersitze, an den Fenstern schmale Tischchen aus Holz mit Aussparungen für Trinkgläser.

Der Pilot selbst muss sich an den Passagieren vorbei vorne in das Cockpit klemmen. Viel Platz ist da nicht, aber unzählige Hebelchen, Instrumente und Schalter. Viele noch mit Beschriftung in russischer Sprache.

Langsam beginnt der Flieger über das Rollfeld zu rollen und ist nach 180 Metern mit einer Startgeschwindigkeit von 90 Stundenkilometern schließlich in der Luft. Und das tut er hier im Schwabenland nahe Landsberg seit gut fünf Jahren. Das Flugzeug hat eine abenteuerliche Geschichte hinter sich. 1958 wurde der Doppeldecker an die damalige Lufthansa der DDR ausgeliefert und als Passagierflugzeug genutzt. Gebaut wurde er in einem sowjetischen Werk in Kiew und mit der Werksnummer 19504 als Transportversion ausgeliefert.

1960 baute der VEB Maschinen- und Apparatebau Schkeuditz die Maschine um. Sie bekam große Panoramafenster, bequeme Sessel und Tischchen. Ab 1970 diente sie von Erfurt aus als Schulungsflugzeug und später für Luftbildflüge im Auftrag von Industrie und Landwirtschaft. Nach der Wiedervereinigung wurde der Oldtimer von der Treuhand in den Westen verkauft und erhielt die heutige Kennung D-FOKK. Schließlich landete der Doppeldecker 1999 im südlichen Afrika, um dort für Safariflüge eingesetzt zu werden.

Mittlerweile nähert sich der Rundflug dem Alpenrand. Die Maschine muss im Sichtflug geflogen werden, soll also nicht in die Wolken kommen. Die Flughöhe beträgt 600 Meter, am Boden sind alle Details zu erkennen: Die seltsamen Muster auf den Feldern, die von den Traktoren der Bauern stammen. Das irisfarbene Wasser des Lechs, der sich hier durch die Landschaft mäandert.

In der Ferne, da wo Neuschwanstein liegt, ist der Himmel dunkel geworden. Dort regnet es. Der Pilot entscheidet sich abzudrehen, die Wetterlage ist ihm zu riskant. Unten sind jetzt die Auen des Naturschutzgebietes Litzau zu sehen. »Das Fliegen ist schon eine Leidenschaft«, sagt Pilot Wild, aber auch: »Mir ist der Kontakt zu den Passagieren sehr wichtig.«

Zurückgeholt aus Afrika

Der gebürtige Münchner führt eine Art Doppelleben. Unter der Woche geht er seinem eigentlichen Beruf als Elektroingenieur nach. Und am Wochenende fliegt er die Antonow. Zum Fliegen gekommen ist Wild durch einen Tramper, den er einmal mitgenommen hatte. Der entpuppte sich nämlich als Fluglehrer und so nahm die Leidenschaft ihren Lauf. Heute hat Andreas Wild mehrere Flugscheine in der Tasche, ja selbst die Lizenz als Fluglehrer. Die AN-2 hat er seinerzeit selbst aus Afrika zurückgeholt. Von Windhoek in Namibia aus startete er und landete nach elf Tagen und 10 500 geflogenen Kilometern in Bad Wörishofen. Eine abenteuerliche Tour, bei der er am meisten mit der Bürokratie der überflogenen afrikanischen Staaten zu kämpfen hatte.

Inzwischen ist die Maschine mit ihren Passagieren wieder nahe Bad Wörishofen und im Landeanflug. Sanft setzt sie auf der Piste auf. Noch einmal spukt der Motor im Leerlauf ein paar Flammen aus – dann ist Ruhe.

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