Auch bei Entwicklungspolitik: Versprochen – gebrochen

Was bei Niebels Neuordnung des BMZ unter den Tisch fallen soll

  • Lesedauer: 4 Min.
Das Bundeskabinett beschloss in der vergangenen Woche eine Reform der staatlichen Entwicklungshilfe, vom zuständigen Bundesminister Dirk Niebel (FDP) als »wichtigste entwicklungspolitische Strukturreform« bezeichnet. Mit Heike Hänsel, entwicklungspolitische Sprecherin der LINKEN, sprach darüber, über Millenniumsziele und die entsprechende Debatte im Bundestag Roland Etzel.
Heike Hänsel
Heike Hänsel

ND: In der zurückliegenden Woche wurden in der deutschen Entwicklungspolitik wichtige Weichen neu gestellt. Unter anderem sollen die Strukturen effizienter werden, erklärte der zuständige Minister Dirk Niebel. Das sollte man doch begrüßen, oder?
Hänsel: Im Prinzip begrüßen auch wir effiziente Strukturen. Allerdings muss man erst auch mal diskutieren, was man unter effizient versteht. Da gibt es, denke ich, unterschiedliche Vorstellungen. Wenn es dabei allein um Einsparungen geht oder die Verlagerung von Ausgaben in die Privatwirtschaft, dann lehnen wir das ab. Die entwicklungsförderliche Zusammenarbeit muss an vorderster Stelle stehen und nicht finanztechnische Effizienz. Zweitens gilt es, alle Entwicklungsinstitutionen einzubeziehen. Und das hat Minister Niebel eben nicht gemacht. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau, zuständig für finanzielle Zusammenarbeit, hat er ausgespart.

Was befürchten Sie?
Dass deutsche Entwicklungszusammenarbeit mit verschiedenen Organisationen auch weiter nicht unbedingt koordiniert auftritt. Der Minister strebt also bestenfalls eine kleine Reform an. Das Zweite ist: Es gibt natürlich schon den Anspruch – auch von den Entwicklungsländern selbst –, nicht mit mehreren staatlichen Institutionen eines Landes zusammenarbeiten zu müssen. Damit sind die Ministerien in den Entwicklungsländern oft überfordert, weil sie gar nicht so viel Personal zur Verfügung haben, um dann mit 20, 30 Ansprechpartnern zu verhandeln und Projekte realisieren zu können. Aber das ist für mich nicht nur eine administrative oder technische Frage, sondern auch eine politische Frage: Was stärke ich in einem Land? Welche Politik mache ich? Herr Niebel zeigt sich zum Beispiel sehr skeptisch gegenüber der Budgethilfe. Wir dagegen sehen in ihr ein wichtiges Instrument, um soziale Sicherungssysteme in den Entwicklungsländern aufzubauen, damit sie nicht auf Jahrzehnte abhängig sind von einzelnen Gesundheits- oder Sozialprojekten. Und dafür brauche ich auch Budgethilfe.

Wer sind denn die Hauptempfänger der Budgethilfe bisher gewesen?
Vor allem afrikanische Länder, zum Beispiel Mosamik, aber auch lateinamerikanische wie
Nicaragua. Sie ist ein wichtiges Instrument vor allem für Länder, die nur ein sehr geringes Steueraufkommen haben und für die es wichtig ist, dass sie über die Budgethilfe eine eigene soziale Infrastruktur aufbauen können.

Und Sie befürchten, dass wird jetzt noch komplizierter?
Ja, wenn die Budgethilfe nicht ausgeweitet wird. Wie groß aber der Widerstand dagegen ist, zeigt der Ausspruch von Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz in einer Ausschuss-Sitzung, die Ausweitung der Budgethilfe würde zu einem »Suppenschüsselsozialismus« führen.

Während der entwicklungspolitischen Debatte in der vergangenen Woche im Bundestag wurde der Bundesregierung von der Opposition – auch von Ihnen – vorgeworfen, ihre Zusagen für den Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) schon nach wenigen Monaten gebrochen zu haben. Woran machen Sie das fest?
Das Ziel, bis 2015 0,7 Prozent des jährlichen Bruttonationaleinkommens für Entwicklungszusammenarbeit auszugeben, wird von FDP-Haushaltspolitikern bereits in Frage gestellt. Zudem gab es zwei ganz konkrete Versprechen. Einmal, ganz aktuell, auf dem jüngsten G8-Gipfel die sogenannte Muskoka-Initiative für die Mütter- und Kindergesundheit. Kanzlerin Angela Merkel hatte davon gesprochen, 100 Millionen Dollar dafür zur Verfügung zu stellen. Jetzt heißt es, die sind im nächsten Haushalt nicht drin.

Das zweite Versprechen, das jetzt nicht eingehalten wird, betrifft die Zusage von Kopenhagen 2009, Entwicklungsländern 420 Millionen Euro jährlich für den Anpassungsfonds zu den Folgen des Klimawandels zur Verfügung zu stellen. Dieser Posten ist im jetzigen Haushalt auf 70 Millionen geschrumpft und wird im nächsten Jahr wohl ganz gestrichen.

Vermutlich läuft das alles unter krisenbedingte Belastung des Haushaltes, worauf reagiert werden müsse, und andere Ressorts müssten das auch. Was würden Sie dem entgegnen?
Interessanterweise können andere Länder, zum Beispiel die skandinavischen, aber auch Großbritannien, die ja von der Wirtschafts- und Finanzkrise ebenso betroffen sind, ihre Zusagen einhalten. Die haben schon längst das 0,7-Prozent-Ziel erreicht. Es geht also immer um Prioritäten. Und da muss man ganz klar sagen, die Entwicklungszusammenarbeit, die Bekämpfung von weltweiter Armut, hat für die Kanzlerin trotz großer Ankündigungen auf Gipfeln, keine politische Priorität. Das zeigt sich im Haushalt.

Auch Ihre SPD-Kollegin Bärbel Kofler hat kritisiert, dass das 0,7-Prozent-Ziel verwässert und somit real kaum zum angestrebten Zeitpunkt 2015 erreicht wird. Ist das glaubwürdig? Während der mehr als zehn Jahre dauernden Führung des BMZ durch die SPD-Ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat man sich doch von diese Ziel auch eher entfernt als angenähert.
Das stimmt. Das ist natürlich auch viel Theater dabei. Gerade von der SPD muss man sagen, sie war elf Jahre ununterbrochen in Regierungsverantwortung. Und da hätte sie den Entwicklungsetat weitaus mehr aufstocken können. Wir kritisieren außerdem, dass vieles in den Etat hineingerechnet wurde, was dort nichts zu suchen hat, wie Schuldenerlasse, Studienkosten von Studierenden aus Entwicklungsländern, selbst die Kosten für Abschiebungen von Flüchtlingen. Das ist inakzeptabel.

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