Attacken zielen nun auf Brunners Leumund

Heute beginnt der Prozess gegen die Jugendlichen, die den 50-Jährigen in München erschlugen

  • Uwe Kalbe
  • Lesedauer: 3 Min.
Ab dem heutigen Dienstag wird sich die Öffentlichkeit wieder regelmäßig an den Tod von Dominik Brunner erinnern, der vor zehn Monaten auf einem U-Bahnhof in München von zwei Jugendlichen totgeschlagen und -getreten wurde. Er hatte Schüler vor diesen schützen wollen. Heute beginnt der Prozess gegen die Täter.

Dominik Brunner ist unfreiwillig zum Helden geworden, zum tragischen Helden. Der 50-jährige Manager aus Ergoldsbach in Niederbayern versuchte vier Schüler vor älteren Jugendlichen zu schützen und bezahlte mit dem Leben dafür. Die Ereignisse auf dem U-Bahnhof Solln führten dem nicht gewaltgewohnten Durchschnittsbürger in besonderer Weise die eigene Hilflosigkeit in solcher Situation vor Augen. Auch deshalb gingen sie vielen so nahe. Denn Dominik Brunner machte alles richtig, was die Polizei in solcher Lage empfiehlt.

Der sportlich wirkende Mann stieg mit den bedrängten Schülern an der Donnersberger Brücke in die Bahn und versuchte dort, mäßigend auf zwei aggressive Jugendliche einzuwirken, stellte sich vor die vier jüngeren Schüler, die von ihnen bedrängt wurden, in dieser Minute nur verbal. Zu dem Zeitpunkt hatten die vier Unglücklichen bereits eine erste Attacke von zunächst drei Tätern auf dem Bahnsteig hinter sich, die von ihnen 15 Euro forderten und dabei auch erste Schläge austeilten. Brunner rief mit dem Handy die Polizei und bot den Opfern an, gemeinsam an der Endstelle Solln auszusteigen. Der dritte Täter, mutmaßlicher Kopf des Trios, war nicht mit in die Bahn gestiegen.

Nach dem Aussteigen eskalierte die Situation blitzschnell, kurz darauf lag Brunner schwer verletzt am Boden, die beiden Schläger ließen erst von ihm ab und flohen, als die Polizei eintraf. Sie wurden in dem Gebüsch verhaftet, in dem sie sich versteckt hatten, um das weitere Geschehen zu beobachten. 44 Verletzungen wurden bei Brunner gezählt, von denen die Hälfte zu seinem Tod zwei Stunden später geführt haben soll. Brunner konnte nichts mehr zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen. Sebastian L. und Markus Sch., die Angeklagten, haben sich zur 90-seitigen Anklageschrift bisher nicht geäußert.

Sicher auf Anraten ihrer Anwälte. Denn ersten Berichten zufolge soll die bisherige Darstellung der Ereignisse nun offenbar in Zweifel gezogen, mit juristischen Winkelzügen ins Wanken gebracht werden. Brunner, der seit seiner mutigen Tag in der Öffentlichkeit als Held behandelt worden ist – er erhielt posthum den Bayerischen Verdienstorden und das Bundesverdienstkreuz Erster Klasse –, soll als Person in Frage gestellt, sein Leumund beschädigt werden. Mit der Aussage eines Zeugen, Brunner habe als erster die Hand erhoben, war schon nach einiger Zeit ein Anhaltspunkt zu erkennen gewesen, worauf nun die Verteidigung der jugendlichen Schläger zielen könnte.

Heute ist es öffentliche Überzeugung, dass Brunner die Hand hob, um sich zu verteidigen. Doch in Zeitungen war zu lesen, dass er einem Kickbox-Verein angehört habe und womöglich gar nicht so untadelig sei wie allgemein unterstellt. Im Berliner »Tagesspiegel« bestätigen Zeugen die vorübergehende Mitgliedschaft Brunners in einem Boxverein, er sei über den Anfängerstatus freilich nicht hinausgelangt. Überdies fragt sich der Nichtjurist, dem die Winkelzüge einer strategisch geplanten Verteidigung vor Gericht fremd sind: Was sollte das an der Schändlichkeit der Tat der Jugendlichen an jenem 12. September ändern?

53 Zeugen sind geladen und vier Sachverständige. Der zur Tatzeit 17-jährige Sebastian und sein ein Jahr älterer Begleiter Markus sind des Mordes angeklagt. Ob doch nur Totschlag im Affekt, wer als Erster zuschlug, ob den Tätern eine Resozialisierungschance eingeräumt wird – solche Fragen sind es, mit denen sich das Gericht in den zunächst geplanten neun Verhandlungstagen herumschlagen wird. Die Täter waren vor jenem Mordtag polizeibekannt. Der dritte und zum blutigen Höhepunkt der Ereignisse nicht mehr anwesende Jugendliche, der als Wortführer gegenüber den Schülern an der Donnersberger Brücke gilt und damit die folgenden Ereignisse mitverursachte, ist schon wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter räuberischer Erpressung zu 19 Monaten Haft verurteilt. Die Strafe war zur Bewährung ausgesetzt, damit er seine Drogentherapie verfolgen kann.

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