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Austernfischer auf Erdölfang

Einige Branchen in der Golfregion der USA profitieren von den Folgen der Ölkatastrophe

  • Rudolf Stumberger, Alabama
  • Lesedauer: 6 Min.
Vom Pier der Insel Dauphin Island vor der Küste Alabamas sieht man in der dunstigen Ferne sechs oder sieben jener Plattformen, von denen aus man im Golf von Mexiko nach Öl bohrt. Eine davon havarierte vor knapp 100 Tagen. Seitdem fließen Millionen Tonnen Öl ins Meer. Die Folgen dieser bislang größten Umweltkatastrophe in den USA sind entlang der weißen Sandstrände von Louisiana bis Florida zu sehen.
Austernfischer auf Erdölfang

Im traditionellen Badeort Biloxi im Süden des US-Bundesstaates Mississippi herrscht gähnende Leere. Wo in der Urlaubszeit für gewöhnlich die Touristen mit ihren Sonnenschirmen die Strände bevölkern, sind derzeit kommunale Säuberungstrupps mit ihren grünen Westen unterwegs, um den Sand von Öl und Teerklumpen zu reinigen. Gerade fünf Jahre ist es her, dass der Hurrikan Kathrina diese Region verwüstete. Noch immer sind seine Spuren zu sehen, da sorgt der »Oil spill«, wie die Umweltkatastrophe hier genannt wird, erneut für wirtschaftliche Schäden in gigantischer Höhe.

Wer im Süden von New Orleans die Straße Nr. 56 hinunter in das Örtchen Cocodrie fährt, stellt fest, dass es inmitten der Katastrophe auch Gewinner geben kann. Dazu gehören die örtlichen Motels und die Vermieter von Häusern. Sämtliche Unterkünfte sind restlos ausgebucht, denn hier sind all die Ingenieure, die Arbeiter des Ölkonzerns BP, die Experten und die für den Transport zu der Unglücksstelle der havarierten Ölplattform »Deepwater Horizon« benötigten Männer anzutreffen. Der Ort Cocodrie liegt inmitten der Sümpfe und des Marschlandes im äußersten Süden Louisianas. Häuser stehen hier auf Stelzen, der Überschwemmungsgefahr wegen. An den Piers liegen die Fischerboote, die in gewöhnlichen Zeiten nach Shrimps oder Austern fischen. Der Fang von Meerestieren ist einer der wichtigsten Wirtschaftszweige in Louisiana und an der gesamten Golfküste. Jetzt sind die Boote mit langen gelben Schläuchen bestückt, gefischt wird nun nicht mehr nach Shrimps, sondern nach Erdöl.

Charterboote sind nicht mehr gefragt

Bobby Dugas ist einer der vielen Verlierer der Ölkatastrophe. Seit dem 20. April, als die Ölplattform explodierte, hat der Besitzer eines Charterbootes nichts mehr zu tun. Kein Tourist will mehr hinaus auf den Golf, um Fische zu fangen. In der vergangenen Woche nahm der 54-Jährige an einem Trainingsprogramm des Ölkonzerns BP teil. Zusammen mit rund 600 anderen kommerziellen Fischern, Eignern von Charterbooten und Crewmitgliedern hörte sich Dugas im Northshore Harbour Center von New Orleans die Erläuterungen des BP-Trainers an. Wie seine Kollegen hofft er auf einen Job in dem vom Ölkonzern aufgelegten Rettungs- und Reinigungsprogramm: als Transportschiffer für Mitglieder der Küstenwache, als Hilfskraft bei der Rettung von Flora und Fauna, beim Abtransport von verschmutztem Sand.

Nach Angaben des Ölkonzerns sind derzeit rund 3000 Boote entlang der Küsten von Louisiana, Alabama, Mississippi und Florida damit beschäftigt, Öl zu binden oder aufzusaugen. Ob diese Armada aus unterschiedlichsten Gefährten – vom nachgerüsteten Fischerboot bis zu Spezialschiffen – ausreicht, um spürbaren Erfolg bei der Bekämpfung der Ölpest zu haben, ist umstritten. Kritiker meinen, bisher wurden so nur 2,9 Millionen Gallonen der bisher in den Golf geflossenen 87 bis 171 Millionen Gallonen Öl abgeschöpft. Genaue Zahlen, die später für Schadenersatzklagen nicht unerheblich sind, wisse aber niemand, so ein BP-Sprecher. »Es geht dabei um Milliarden Dollar«, zitiert eine örtliche Zeitung den Umweltexperten Larry McKinney von der Universität Corpus Christi in Texas. Angesichts dieser Zahlen wird klar, es wird auch noch andere Gewinner geben: Rechtsanwälte. Die machen auf Plakaten entlang der 56. Landstraße oder in Zeitungen Werbung für ihre Dienste. »Wenn Sie unter Schäden leiden, die durch die gegenwärtige Ölkatastrophe verursacht wurden, verletzt das Ihre Rechte«, inseriert Rechtsanwalt Earl P. Underwood aus Fairhope, Alabama, in der Tagespresse.

An den Ufern des Mississippi im südlichen Lousiana stehen noch immer die herrschaftlichen Villen der ehemaligen Baumwollplantagenbesitzer, zum Beispiel die des Eigners der vom amerikanischen Bürgerkrieg unversehrt gebliebenen Houmas-Plantage an der Flussbiegung bei Darrow, südlich von Baton Rouge. Inmitten von antiken Möbeln, silbernen Teelöffeln und den Spiel- und Raucherzimmern für die Vertreter des männlichen Geschlechts glaubt man sich in das frühe 19. Jahrhundert zurückversetzt. Doch schon ein paar Flussbiegungen weiter ist man wieder in der Gegenwart angekommen: Dort beherrscht die Silhouette einer weitläufigen Raffinerieanlage das Bild.

»Früher lebten wir hier ein ruhiges, abgeschiedenes Leben«, erzählt Betty Provost. Die 66-Jährige betreibt 50 Kilometer südlich der ehemaligen Houmas-Plantage eine »Bed and Breakfast«-Herberge in einfachen Hütten. Sie ist Nachfahrin der französischsprachigen Cajuns, die sich Ende des 18. Jahrhunderts hier angesiedelt hatten. Mit ihren »Swamp-Cabins« will sie zeigen, wie die »andere Hälfte« der Einwohner gelebt hat, jenseits der Herrschaftshäuser. In den 1960er Jahren war dann Schluss mit der Abgeschiedenheit und der ärmlichen Lebensweise: Es kam der Ölboom. Seither leben die meisten Menschen in der Region vom Öl – und das bisher nicht schlecht: Große Häuser mit mehreren Autos vor der Tür zeugen davon. Doch jetzt geht hier die Angst vor einem Moratorium beim Bohren nach Öl um, wie von Präsident Barack Obama gewollt. Und vor einem möglichen Niedergang der Ölindustrie.

Fünf Jahre nach dem Wirbelsturm Kathrina hat es die Region also wieder schwer erwischt. Die Ölarbeiter fürchten um ihre Zukunft und ihren Wohlstand, die Fischindustrie rechnet mit existenzbedrohenden Einbußen. Und auch das dritte wirtschaftliche Standbein der südlichen Regionen, der Tourismus, ist massiv betroffen.

Am Strand von Waveland, einem Städtchen an der Golfküste von Mississippi., verkündet lapidar ein Schild am örtlichen Badestrand: »Geschlossen«. In der Mittagsglut ist eine Gruppe Arbeiter damit beschäftigt, Teerklumpen und Ölflecke aufzusammeln und in Plastiksäcke zu stecken. Die Ölpest macht sich hier in schwarzen Tropfen bemerkbar, die aus der Erde beziehungsweise dem Sand heraus sickern. Auch wenn die amerikanische Regierung eine Verseuchung von Fischen aus dem Golf bisher verneint und die Bilder von ölverschmierten Vögeln und schwarzen Sandstränden nicht überhand nehmen: Geschlossene Badestrände und Berichte in den Medien genügen, um die Touristen von der Golfküste abzuhalten.

Energie als Billigprodukt

Allein in Louisiana rechnet man mit Kosten von bis zu einer Milliarde Dollar pro Jahr für die Reinigung der Küsten (und für die Hurrikanvorsorge). Der Ölkonzern BP reagiert einerseits mit großen Zeitungsanzeigen. Unter einem Foto, das einen Reinigungstrupp an einem Strand zeigt, ist »Wir bringen das in Ordnung« zu lesen, und es wird versprochen: »Unsere Reinigungsaktion wird so lange andauern, bis das Meer und die Strände für ölfrei erklärt werden. Und dem Steuerzahler werden keine Kosten entstehen.« Um dieses vollmundige Versprechen zu untermauern, zahlt der Konzern Geld an staatliche Institutionen. Zum Beispiel 74 Millionen Dollar an die »Alabama Notfallagentur«. Die gibt das Geld weiter an die Kommunen, etwa an Dauphin Island, das 2,5 Millionen Dollar aus diesem Topf bekam. Davon hat die Gemeinde an ihrem Strand einen Sandwall als Barriere gegen das Öl aus dem Meer aufgeschüttet und beschäftigt die Reinigungstrupps.

Der Wirbelsturm Kathrina wurde zur Katastrophe, weil die Dämme an den Industriekanälen von New Orleans schlecht gebaut waren, so dass die Stadt überschwemmt wurde. Auch die Ölkatastrophe der »Deepwater Horizon« war von Menschen verursacht. Ein Aspekt dabei ist die Gier nach fossilen Brennstoffen, mitbedingt durch die allgegenwärtige Verschwendung von Energie in den USA. Ob die gigantischen Plastikabfallberge der Fast-Food-Restaurants, die ihren Ursprung im Öl haben, oder die rund um die Uhr laufenden Klimaanlagen – Energie ist in den USA ein Billigprodukt, das zur Verschwendung einlädt. Die jüngsten Katastrophen könnten hier ein Umdenken erzwingen. In New Orleans entstanden die ersten Häuser im Süden der USA mit Solaranlagen auf dem Dach. Ein Kommentar der »The Times-Picajune« fragte gar nach Alternativen zur Verschwendung von fossilen Brennstoffen: »Werden wir jemals daraus lernen, oder muss die Gallone Benzin erst fünf oder zehn Dollar kosten?«

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