Mordverdächtiger ist unauffindbar

Angehörige Margaret Hassans beklagen Versagen der irakischen Justiz

  • Karin Leukefeld
  • Lesedauer: 3 Min.
In Bagdad sollte kürzlich der Prozess im Mordfall Margaret Hassan wiederaufgenommen werden. Die frühere Leiterin von Care International in Irak war 2004 entführt und ermordet worden. Doch der Hauptverdächtige war verschwunden.

Der 37-jährige Ali Lutfi Jassar wurde 2009 wegen Beteiligung an der Ermordung Margret Hassans und wegen Erpressung ihrer Familie zu lebenslanger Haft verurteilt. Mit der Begründung, seine Aussagen seien durch Folter erzwungen worden, setzte Jassar eine Wiederaufnahme des Prozesses durch. Am vergangenen Donnerstag sollte die Verhandlung beginnen, Jassar aber war unauffindbar.

Der Verurteilte saß zunächst in einem Gefängnis in Chamchamal im kurdischen Nordirak, soll aber kürzlich in ein Bagdader Gefängnis verlegt worden sein. Das erfuhr der Anwalt der Familie Hassan, Sarmad al-Sarraf. Doch weder in Chamchamal noch in einem anderen Gefängnis habe man Jassar finden können, hieß es am Verhandlungstag. Entweder sei er bei der Verlegung »verloren gegangen« oder er sei entkommen, räumte der Gefängnisleiter ein. Aus anderen Quellen verlautete, Jassar sei bereits im Mai die Flucht gelungen.

Vor seiner Festnahme 2008 hatte der Mann Kontakt mit der britischen Botschaft aufgenommen und 1 Million US-Dollar dafür gefordert, dass er den Ort nenne, an dem die sterblichen Überreste Margaret Hassans zu finden seien. Dabei hatte sich herausgestellt, dass Jassar über Informationen verfügte, die sonst nur dem Opfer selber oder ihren engsten Familienangehörigen bekannt waren.

Margret Hassan, die die britische, irische und irakische Staatsangehörigkeit besaß und mit einem Iraker verheiratet war, leitete 12 Jahre lang die Organisation Care International in Irak. Sie war eine scharfe Kritikerin der UN-Sanktionen, die nach dem Einmarsch Iraks in Kuwait im August 1990 über das Land verhängt worden waren. Ebenso wandte sie sich gegen den von den USA und Großbritannien seinerzeit geplanten Irak-Krieg. Nach ihrer Entführung im Oktober 2004 appellierte Margret Hassan in zwei Videos an die britische Regierung, ihre Truppen aus Irak abzuziehen und alle weiblichen Gefangenen freizulassen. Einen Monat später tauchte ein Video auf, das ihre Ermordung zeigte. Ihre Leiche wurde nie gefunden. Margrets Schwestern beschuldigen die britische Regierung bis heute, Gespräche mit den Entführern abgelehnt zu haben.

Das Verschwinden Ali Lutfi Jassars bezeichnete Hassans Schwester Deirdre Manchanda als »herzzerreißend«. Sie hätten gehofft zu erfahren, wo Margrets Leiche verscharrt wurde, damit sie endlich überführt und beerdigt werden könne. »Sechs Jahre haben wir um Gerechtigkeit gekämpft, nur um jetzt festzustellen, dass keiner der Täter für den Mord büßen muss«, sagte sie der britischen Tageszeitung »Guardian«.

Anwälte der Familie forderten von Premierminister David Cameron eine Intervention bei der irakischen Regierung. Der Fall stelle »ein unglaubliches Versagen des irakischen Rechtssystems dar«. Das Gericht in Bagdad hat sich derweil auf den 29. Juli vertagt. Bis dahin soll geklärt werden, wo Ali Lutfi Jassar geblieben ist.

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