Wichtig ist den Überlebenden das Schuldgeständnis

Chum Mey trat im Prozess als Nebenkläger und Zeuge auf

  • Robert Luchs
  • Lesedauer: 4 Min.
Nur sieben Gefangene haben Tuol Sleng überlebt, das Foltergefängnis des Pol-Pot-Regimes in Phnom Penh. Einer von ihnen ist Chum Mey. Heute 79 Jahre alt, hat er seine Frau und vier Kinder während der Terrorherrschaft zwischen 1975 und 1979 verloren. Sie wurden umgebracht wie rund zwei Millionen Kambodschaner in dieser Zeit der Gewalt.
Chum Mey
Chum Mey

Chum Mey spricht leise und wägt jedes Wort, wenn er von der Zeit spricht, als die Leute Pol Pots das Land beherrschten und weitgehend ruinierten. Als die schwarz gekleideten Soldaten vor 35 Jahren in Phnom Penh einmarschierten, brandete ihnen Jubel entgegen. Die Menschen eilten auf die Straßen und feierten die überwiegend jugendlichen Kämpfer als Befreier.

Doch wenige Stunden später begann der Terror, unvermittelt, unvorstellbar grausam, ohne Gnade und ohne einen Funken Menschlichkeit. Die Bewohner Phnom Penhs mussten innerhalb kürzester Zeit mit wenigen Habseligkeiten ihre Stadt verlassen, während Banken in die Luft gejagt und Regierungsgebäude geplündert wurden. Selbst Schwerbehinderte wurden aus ihren Krankenhausbetten gezerrt und auf die Straße geworfen.

Auch Chum Mey wurde mit seiner Familie aufs Land getrieben. Irgendwann aber brauchte »Angkar«, die zunächst namenlose »Organisation«, den Mechaniker, der Traktoren und Pumpen, Lautsprecher und Nähmaschinen reparieren konnte. Bis er 1978 dem Wahn der Schergen Pol Pots zum Opfer fiel, die überall »Verräter und Spione« jagten.

Chum Mey wurde von seiner Familie getrennt, nach Phnom Penh gebracht und 12 Tage lang verhört und gefoltert. Er wusste nicht, was ihm zur Last gelegt wurde. »Eigentlich weiß ich es bis heute nicht«, sagt er leise, den Blick leer auf den Stacheldrahtzaun gerichtet, der das einstige Gefängnis umschließt, das Kaing Guek Eav alias Duch zwischen 1976 und 1979 leitete.

Der ehemalige Häftling führt eine kleine Gruppe von Besuchern durch das heutige Museum. Vor Jahren sei er noch in Tränen ausgebrochen, wenn er das Gefängnis nur sah. Jetzt habe er sich daran gewöhnt, die winzigen Zellen zu betreten, die Folterwerkzeuge zu erklären und die Fotos der Gefangenen – seiner Leidensgefährten – zu betrachten, die bis auf wenige Ausnahmen umgebracht wurden. Chum Mey setzt sich auf den Steinboden und zeigt, wie die Fußeisen angelegt wurden – sie ließen den Gepeinigten kaum Spielraum und schon gar keine Chance zu entkommen. Am schlimmsten sei der Entzug von Essen gewesen, zumal es nur einmal täglich eine Wassersuppe mit Reiskörnern gab.

Nachts, sagt Chum Mey mit bebenden Lippen, habe sich die Hölle aufgetan. Verstummte das Wimmern der Geschlagenen, wusste man, die Zellennachbarn würden die Nacht nicht überleben. Als die Vietnamesen 1979 in Phnom Penh einmarschierten, waren nur noch wenige am Leben. Chum Mey gehörte zu ihnen, seine Peiniger hatten ihn zunächst wegen seiner handwerklichen Fähigkeiten geschont. Ebenso ließ Duch den Maler Vann Nath überleben. Dessen später gefertigte Schreckensgemälde sind in einem Seitentrakt des Gefängnisses zu sehen: Grausamste Folter- und Verhörszenen hat er auf die Leinwand gebannt, und die Mordlust der Täter, die vor Babys nicht halt machte, deren Köpfe gegen Bäume geschmettert wurden.

Wer nicht an Ort und Stelle ermordet wurde, fand den Tod auf den »Killing Fields« von Choeung Ek, 15 Kilometer südlich von Phnom Penh. Dort wurden die Gefangenen im Schutz der Dunkelheit erstochen oder erschlagen. Hunderte solcher Mordstätten gibt es, über ganz Kambodscha verstreut.

Auch Chum Meys Familie ist dem Terror zum Opfer gefallen. Als Vorsitzender einer Opfervereinigung versucht er bis heute, die grausigen Ereignisse zu verarbeiten. Die 451 Mitglieder der Vereinigung sind sich darin einig, dass am Tage der Verurteilung Duchs eine Gedenkzeremonie auf den »Killing Fields« stattfinden soll. Dort und vor dem einstigen Gefängnis sollen später Stelen mit den Namen aller Ermordeten errichtet werden. Die Opfer sind kategorisch dagegen, dass die sterblichen Überreste der Toten verbrannt werden. Vielmehr sollte versucht werden, durch DNA-Analysen Gebeine und Schädel zu identifizieren und den noch lebenden Familien zuzuordnen. Am Rande des Tribunals wurden auch Forderungen nach Entschädigung lauter. Bisher sind nur kollektive moralische Reparationen vorgesehen. Die deutsche Anwältin Silke Studzinsky unterstützt als Vertreterin der Nebenkläger auch und vor allem individuelle Reparationszahlungen.

Chum Mey war ebenfalls als Nebenkläger zugelassen. Als er in der Verhandlung als Zeuge gehört wurde, rief er Duch zu: »Du hast alle diese Menschen getötet.« Gefragt nach seiner Entschädigungsforderung, sagt Chum Mey leise, er wäre zufrieden, wenn er von dem Angeklagten einen Dollar als Eingeständnis seiner Schuld erhielte.

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