Unterm Gras von Sandbostel

Jugendliche arbeiten in früherem NS-Lager

  • Dieter Sell, epd
  • Lesedauer: 3 Min.
Bis zu 50 000 Menschen starben im NS-Kriegsgefangenenlager Sandbostel (Niedersachsen). Derzeit kümmern sich 25 Jugendliche aus acht Nationen um den Erhalt der Gedenkstätte.

Sandbostel/Kassel. Zentimeter für Zentimeter kämpft sich Annabelle Schnackenberg durch die Erdschichten. Erst mit einer kleinen Schaufel, dann mit einem Quast ist die 17-Jährige der Geschichte auf der Spur. Auf dem Gelände des ehemaligen NS-Kriegsgefangenlagers im niedersächsischen Sandbostel bei Bremen arbeitet die Deutsche zusammen mit 24 Jugendlichen aus acht Nationen daran, einen alten Weg freizulegen. Die Aktion gehört zu den national und international 65 Workcamps, die der Volksbund Deutsche Kriegsgräberfürsorge organisiert.

50 000 Gefangene starben

Junge Menschen aus Frankreich, Moldawien, Estland, Russland, Spanien, Polen, der Ukraine und Deutschland beteiligen sich in diesem Jahr am Workcamp in der Gedenkstätte Sandbostel, die in Deutschland eine Sonderstellung einnimmt: Auf dem Gelände sind noch 25 Gebäude des ehemaligen Lagers erhalten. Sie bilden ein bundesweit einzigartiges Ensemble historischer Bauten aus der Kriegszeit. Zwischen 1939 und 1945 waren hier etwa 600 000 Menschen aus 46 Nationen interniert. Bis zu 50 000 Kriegsgefangene und KZ-Häftlinge überlebten die Gefangenschaft nicht – genauere Zahlen gibt es nicht.

»Mit den Jahrzehnten ist das Gelände hier durch Erde und Gras um etwa 20 Zentimeter in die Höhe gewachsen«, sagt Andreas Ehresmann, Leiter der Dokumentations- und Gedenkstätte Lager Sandbostel. Archäologisch sorgfältig werden nun unter anderem alte Wege freigelegt, um mehr über die Nutzung des früher 35 Hektar großen Lagergeländes in der NS-Zeit und nach dem Krieg zu erfahren. In zurückliegenden Jahren wurden bei Grabungskampagnen zudem Tausende stummer Zeitzeugen aus der Erde geholt – Essbestecke, »Henkelmänner«, Schuhe und Lagerdokumente.

»Wenn ich arbeite, stelle ich mir manchmal vor, was hier passiert ist«, sagt Jana Mescheoglo (22) aus Moldawien. »Hier müssen Menschen gelegen, zu Gott gebetet, um Hilfe gefleht haben.« Der jungen Frau ist daran gelegen, Dokumente und Kriegsgräber als Mahnung zu sichern. »Was in der Vergangenheit passiert ist, darf sich nicht wiederholen«, sagt sie.

Volksbund-Präsident Reinhard Führer (Kassel) ist sich sicher, dass die Camps dazu beitragen. Seit 1953 organisiert der Verband internationale Workcamps für junge Menschen zwischen 16 und 25 Jahren, an denen bisher weit mehr als 200 000 Jugendliche aus ganz Europa teilgenommen haben. Sie müssen etwa 20 Stunden pro Woche für die Pflege und Instandsetzung von Gräbern und Gedenkstätten einplanen. Dazu gibt es Begegnungen mit Menschen im Gastland, auch historisch-politische Bildung steht auf dem Programm

Immer weniger Camps

Die Camps stünden bei Jugendlichen hoch im Kurs und seien regelmäßig ausgebucht, sagt Volksbund-Sprecher Fritz Kirchmeier. Trotzdem ist ihre Zahl rückläufig, denn die Finanzierung wird immer schwieriger. 2009 gab es noch 69 Camps, an denen sich fast 19 000 Jugendliche und junge Erwachsene aus zwölf Nationen in Ländern West-, Mittel-, Südost- und Osteuropas beteiligten. Nun sind es schon vier Angebote weniger.

»Große Städte wie St. Petersburg sind als Einsatzorte besonders beliebt«, berichtet Kirchmeier. Schwieriger werde es, die jungen Leute aufs Land etwa in den Kaukasus zu bringen. Doch obwohl Sandbostel tiefste Provinz ist – hier hatten die Organisatoren keine Schwierigkeiten, eine Gruppe zu organisieren.

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