Und was tust du?

  • Mathias Wedel
  • Lesedauer: 3 Min.
Flattersatz: Und was tust du?

Die Menschen sind kaum mehr zu großen Unternehmungen zu bewegen. Feldsteine sammeln für die Warnemünder Mole, Wasser in Eimern herbeitragen für »Max braucht Wasser« – mit solcherlei haben sich Generationen junger Menschen im Osten die Zeit vertrieben. Vorbei! Auch dass tausende, von Kinderhand bemalte Postkarten bei den Guantanamo-Häftlingen eintrudeln, ist nicht denkbar. Die internationale Solidarität findet heute im Internet statt.

Neulich zum Beispiel der Kampf der Massen für einen prächtigen Schreibtisch, einen Fahrer und fünf persönliche Redenschreiber für Joachim Gauck. Aus dem Netz heraus schwappte die Welle der Solidarität auf die Gasse über. Menschen warfen sich in den Kehricht und schrien: »Wir wollen einen schönen Lebensabend für Joachim Gauck!« Wie bei euphorischen Begängnissen üblich, wurde auch gereimt – »Gauck ist gut fürs Vaterland / denn er war im Widerstand« oder »Präsident wird der Joachim / denn wir alle lieben ihm.« Das war beeindruckend. Gauck vermutete, Millionen seien von seiner Person ergriffen. Bis sich herausstellte, dass all die Einträge im Internet automatisch versandt worden waren, etwa so, wie das Internet über Nacht automatisch Währungen abwertet oder Finanzkrisen erzeugt.

Nein, mit Massenaufläufen ist nicht mehr zu rechnen, zumal man dabei erdrückt werden kann. Umso wichtiger ist das Engagement einzelner, die andere mitreißen. In meiner Großgemeinde gibt es eine Bande eingewanderter schwäbischer Hausfrauen, deren Gatten Landtagsabgeordnete, Sparkassen-Filialleiter oder Tierärzte sind. Intern heißen sie »Das Schwäbinnen-Kommando«. Sie verbreiten Angst, Schrecken, Übelkeit und Darmverschluss. Denn sie verticken aggressiv auf allen Dorffesten im Radius von 150 Kilometern selbstgebackenen Blechkuchen. Weil den niemand aus freien Stücken kaufen will, warten sie mit einem jeweils hochmoralischen Kaufanreiz auf: Rhabarberfladen für die Wiederaufhängung von Kirchenglocken, Käsekuchen für die Umbenennung der Thälmannstraße in Straße am Friedhof, und zu Weihnachten betonartiger Stollen für die Mehrwertsteuerbefreiung von Tierärzten.

Ihre nächste Terroraktion ist ein Soli-Essen für die Soldaten in Afghanistan. Von Straßenverkäufern haben sie gelernt, die mit dem Argument »Sie sind doch auch gegen Kindesmissbrauch« Handy-Verträge oder die Berliner Zeitung an den Mann bringen. Die Bäckerinnen wollen nun mit dem Satz »Sie wollen doch auch nicht, dass unsere Söhne in Afghanistan fallen« den Umsatz mit Streuselschnecken um 200 Prozent erhöhen.

Diese Initiative sollte uns alle nachdenklich machen: Was tust DU für den Krieg?, lautete die dringliche Frage. Sie darf keinen anständigen Menschen ruhen lassen. Die Gemüsegärtner in meinem fruchtbaren Dorf könnten Kohlrabi und Möhren an die Front schicken. Bürger könnten sich zusammentun und auf dem Friedhof Grabflächen für Heimkehrer ankaufen. Und unser lokales Fuhrgeschäft Waldemar Sack beschriftet seine Taxis (die sog. »Sackkarren«) mit »Räder rollen für den Sieg«.

Wem partout nichts einfallen will, weil es ihm an sozialer Empathie gebricht, der sollte eine Riesterrente abschließen. Wie vorige Woche die Zeitung berichtete, kann man sich mit der Einzahlung für die Zusatzrente direkt finanziell an der Vernichtung feindlicher afghanischer Frauen und Kinder beteiligen. Das Geld geht in einen Fonds, der die Herstellung von Streubomben finanziert – sehr effektive und schmerzarme Waffen.

Ein Teil unserer Steuern wird schon jetzt für den Krieg verwendet, ohne dass wir es merken. Aber zu wenig, wie ich finde. Deshalb sollte man es so einrichten, dass man seine Steuern vollständig auf ein Sperrkonto einzahlt, das vielleicht den Tarnnamen »Winterhilfswerk« tragen könnte – das Geld darf ausschließlich für die Herstellung des Endsieges verwendet werden. Das würde zwar die (ohnehin konfusen) Finanzämter durcheinanderbringen. Doch was soll's – Opfer müssen wir alle bringen.

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