Das Öl holt sich die Vogel-Babys

Eine Tierklinik im US-Bundesstaat Louisiana kümmert sich um die gefiederten Ölpest-Opfer

  • Frank Brandmaier (dpa), Hammond
  • Lesedauer: 4 Min.
Im Golf von Mexiko verschwindet langsam das Öl, zumindest an der Oberfläche. Aber die Giftbrühe verabschiedet sich auf teuflische Weise: Jetzt verklebt sie vor allem flügge gewordenen Jungvögeln das Gefieder. Für spezialisierte Helfer nimmt der Stress kein Ende.

Wo vor nicht allzu langer Zeit noch Gabelstapler Holzbalken umherkarrten, fiept es jetzt herzzerreißend aus jeder Ecke. »Erst vorige Woche haben wir gleich ein paar hundert Tiere neu hereinbekommen«, erzählt Jay Holcomb, Chef des Internationalen Zentrums für Vogelrettung und Forschung (IBRRC), während er durch die neue Hilfsstation seiner Organisation in Hammond (US-Staat Louisiana) führt. »Das war ein regelrechter Schub«, berichtet der Vogelschutz-Veteran. Und er kann sich jederzeit wiederholen.

Der Umzug in das einstige Holzlager war bitter nötig: Bis zu 3000 Vögeln können Helfer dort jetzt Öl aus dem Gefieder waschen, sie aufpäppeln und auf die Freiheit vorbereiten – dreimal so viele wie vorher. Zu beengt war die frühere Bleibe im Ölpest-Gebiet, zu nahe am Meer und damit Stürmen ausgesetzt. Die Rechnungen zahlt BP. Immerhin ist das Bohrloch seit Mitte Juli provisorisch gestopft, endgültig versiegelt sein soll es Ende August. »Wenn das Bohrloch zu ist, hoffen wir, dass die Zahlen runtergehen«, sagt Holcomb.

»Klinik« nennt das IBRRC die Station eine Autostunde nördlich von New Orleans. Einst waren die Hauptklienten ausgewachsene Pelikane, jetzt sind es gerade flügge gewordene Aztekenmöwen (Laughing Gull/Leucophaeus atricilla) und Jungtiere anderer Vogelarten – als wollte die Ölpest noch einmal besonders grausam ihren langsamen Abschied inszenieren. »Die Jungen sind wie Kinder, die in Pfützen spielen wollen«, erläutert Holcomb. Nur dass sich die arglosen Tiere dort eben mit Öl das Gefieder verschmutzen.

Die traurige Bilanz der Behörden bis jetzt: Mehr als 1400 Vögel wurden tot und sichtbar verölt im Ölpest-Gebiet aufgelesen, die allermeisten davon in Louisiana. Über 1600 mit der rostbraunen Pampe im Gefieder fanden Helfer lebend. Danach sind Meeresschildkröten die am stärksten betroffen Tiere: Mehr als 270 fand man ölverschmiert, aber am Leben. Für knapp 20 kam jede Hilfe zu spät. Das alles sind freilich sehr vorläufige Zahlen. Bei der Exxon-Valdez-Katastrophe 1989 starben in dem verseuchten Wasser etwa 250 000 Seevögel, 2800 Otter, 300 Seehunde, 250 Seeadler und 20 Wale.

Etwas mehr als 500 Vögel sind an diesem Tag in der Station in Hammond untergebracht – eine Zahl, die sich jederzeit drastisch nach oben ändern kann. Etwa die Hälfte davon sind Aztekenmöwen. Manche der Tiere harren unterkühlt unter Rotlicht in der »Intensivstation« aus, manche sind nur wenig verschmutzt, andere schon wieder sauber und draußen in großzügigen Käfigen untergebracht, wo sie auf ihre Aussetzung in die Freiheit warten – weit weg vom Öl, in den Südstaaten Georgia, Florida oder Texas. Die vielen Jungtiere müssen länger in der Obhut der Menschen bleiben als die Alten. »Wir ziehen sie hier regelrecht groß, weil sie noch nicht richtig fliegen können«, sagt Holcomb.

Für ihn und seine 40 bis 50 Mitstreiter kann von einem Ende des Umweltdramas keine Rede sein. Der IBRRC-Direktor spricht aus, was jeder an der amerikanischen Golfküste weiß. Wie lange die Station wohl noch in Betrieb bleiben wird? Schwer zu sagen, räumt Holcomb ein, der seit einem Vierteljahrhundert Vögel aus dem Öl rettet. »Wir nehmen an, noch ein paar Monate, bestimmt noch den September hindurch.«

Seit dem Beginn des IBRRC-Einsatzes am Golf Ende April wuschen Helfer mehr als 1200 Vögeln Öl aus den Federn. »Das ist für eine Ölpest von drei Monaten Dauer nicht allzu viel.« Kleinreden will er die Katastrophe aber nicht. »Wir wissen nicht, wie viele verendet oder noch verölt und lebend da draußen sind«, meint Holcomb düster.

Static Kill

BP startet derzeit einen weiteren Versuch, das Bohrloch zu verschließen. Bei der Methode »Static Kill« wird – wie Prof. Matthias Reich, Direktor des Instituts für Bohrtechnik der TU Bergakademie Freiberg, erläutert – über eine Leitung eine komplexe zähe Flüssigkeit von oben durch den provisorischen Deckel in das Bohrloch gepresst. Wenn die schwere Spülung das Öl in der Lagerstätte nach unten drückt und nichts mehr fließt, kann Zement gezielt in die Bohrung gepumpt werden. Er kann am Ausgang der Lagerstätte dann aushärten – diese ist wieder versiegelt. dpa/ND

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