Sommerhitze

Das letzte Schweigen - von Baran bo Odar

  • Caroline M. Buck
  • Lesedauer: 3 Min.

Selten wirkte flirrende Sommerhitze so bedrohlich. Selten schienen strohgelbe Felder und ein endlos grüner Wald, im Niedrigflug wie eine belebte Karte aus der Luft betrachtet, so ominös wie hier. Selten wurde ein roter Kleinwagen zu so sinistren Dingen verwandt. Selten sah man so bizarre Perücken.

Der Film verlegt einen der hochgelobten Kriminalromane von Jan Costin Wagner vom finnischen Turku in die westdeutsche Provinz, aus dem finnischen Serienhelden Kimmo Joentaa wird der Polizist David Jahn, und die Zeitspanne zwischen seinen beiden Zeitebenen wird von 33 auf 23 Jahre verkürzt, weil 33 Jahre eine Umbesetzung der Darsteller oder allzu viel Maske verlangt hätten. Dass trotzdem Perücken nötig waren, um aus den Hauptfiguren im Jahr 2009 halbwegs glaubwürdig ihre jüngeren Altersstufen des Jahres 1986 zu machen, ist denn auch prompt die (fast) einzige Schwachstelle des Films.

Da wird im Sommer 1986 ein Mädchen von elf Jahren inmitten flirrender Hitze, strohgelber Felder und endlos grüner Wälder vom Fahrrad gezerrt, vergewaltigt und ermordet. Taucht Wochen später in einem See wieder auf, und bleibt das große ungelöste Rätsel in der Karriere von Kriminalkommissar Krischan Mittich (Burghart Klaußner), der mit dem Fall betraut war. 23 Jahre später, auf den Tag genau, geht der in Pension, und kann den ungelösten Mord doch nicht vergessen. Da verschwindet ein zweites Mädchen, dreizehn Jahre alt diesmal, und ihr Fahrrad taucht an genau derselben Stelle wieder auf, wo seit der ersten Tat ein Holzkreuz am Feldesrand an das erste Opfer erinnert.

Mittichs Nachfolger David Jahn (Sebastian Blomberg) hat nach dem Krebstod seiner Frau eben erst den Dienst wieder aufgenommen, ist bleich, blass, am Leben verzweifelt und irgendwie von der Hitze, den intrigierenden Kollegen, der Schwangerschaft seiner Kollegin (Jule Böwe) überfordert. Außerdem: ohne Leiche ist dies bis auf Weiteres kein Mordfall, sondern »nur« ein Verschwinden. Und während der Zuschauer jedenfalls weiß, was damals bei dem ersten Mord geschah, wer ihn – und warum – ausführte, sieht die Sache von Polizistenseite nur für Krischan Mittich überhaupt wie die Tat eines pädophilen Serientäters aus.

Aber auch Timo Friedrich (Wotan Wilke Möhring) kann gar nicht anders, als sich an den Tag vor 23 Jahren erinnert fühlen, als er mit Hausmeister Peer Sommer (Ulrich Thomsen) nicht mehr nur einschlägige Videos ansehen, sondern auch einmal leibhaftig erleben sollte, wie das so ist, ein kleines Mädchen ...

Regisseur und Drehbuchautor Baran bo Odar, geboren in der Schweiz, aufgewachsen am Drehort Erlangen und ebenso wie sein Kameramann Nikolaus Summerer Absolvent der Münchner Filmhochschule, betrachtet seine Figuren auf Augenhöhe. Alle seine Figuren, den pädophilen Mörder wie den obsessiven Kommissar oder die 23 Jahre später immer noch lebenausfüllend trauernde Mutter (Katrin Saß). Nur einer der Uniformträger kommt ein bisschen schlecht weg, aber der hat sich das gründlich selbst zuzuschreiben. Und auf Kenner des Romans wartet am Ende auch noch eine Überraschung.

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