Dem Teufel sei Dank

Ralf Stabel vermittelt Tanzgeschichte auf amüsante Art

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 3 Min.

Das Buch hält, was der illustre Titel verspricht. »Rote Schuhe für den Sterbenden Schwan« bringt in 15 ausgewählten Kapiteln Tanzgeschichte an den Leser und schafft dabei den Spagat, das neugierige Amateurmädchen ebenso zu amüsieren wie den gewieften Fachmann.

Dass er die Korrektheit des Tanzhistorikers mit gut verständlicher Darstellung zu verknüpfen weiß, hat Ralf Stabel bereits in früheren Publikationen, etwa den Bänden zu Palucca oder über »IM Tänzer«, bewiesen. Diesmal zielt er auf mehr: den Weg aufs Gewordensein des Bühnentanzes über die Jahrhunderte. Wie verstörend frische Schneisen er in dessen liebvertrautes Dickicht schlägt, mit welcher Fabulierlust er Fäden spinnt, Fährten legt, durch fast naiv insistierende, Begriffe wörtlich nehmende Fragestellungen zu verblüffenden Um- oder Neudeutungen gelangt, lässt Tanzgeschichte plötzlich farbig aufschillern, wo andere Autoren trocken lehrhaft bleiben.

Keine Wortakrobatik, um eigene Gedankengelenkigkeit zu präsentieren, stets aber die klare Behauptung, die beharrliche Nachfrage, die spürsinnige Beweisführung. Der mag man sich dann im Einzelfall anschließen oder nicht – anregend bleibt die Lektüre der sinnfällig auch rot eingebundenen rund 200 Seiten durchgängig.

Für jemanden, der gern Geschichten erzählt, und »Tanzgeschichte in Geschichten« lautet bewusst die Unterzeile, ist der vom mittelalterlichen Klerus erdachte Tanzteufel bester Einstieg in den Stoff: Galt den Kirchenoberen der Reigen anfänglich als Spiegel für den Tanz der Engel und also gottgefällig, sah sich bald wilder Verdammung anheimgestellt, was sie alle und gern taten, vom Fürsten bis zum Bauern. Das elementare Bedürfnis blieb stärker, führte über den höfischen Tanz schließlich in Frankreich zur Entstehung des Balletts, mit Ludwig XIII., besonders seinem Nachfolger Ludwig XIV. als edlen königlichen Vortänzern.

Mit dem Romantischen Ballett setzte die Folge der bis ins Heute überlieferten Werke ein, mit »Giselle« als dem Klassiker überhaupt. Was romantisch am Romantischen, klassisch am Klassischen Ballett sei, fragt Ralf Stabel ebenso, wie er die Funktion der auswärts gedrehten Beine als Voraussetzung für beide Stilepochen untersucht. Andersen und Heine erfahren Würdigung als dem Tanz liebend Verbundene, Shakespeare als Stichwortgeber auch im Tanz, doch der Blick des Autors reicht weit über das Ballett hinaus. Wenn Stabel über den Modernen Tanz und seine Spielarten sinniert, ihn im gesellschaftlichen Umfeld verankert, wird der Tanz tatsächlich zum Spiegel der Zeit und der Zeiten. Geschichte lässt sich so auch durch ihr Verhältnis und Verhalten zum Tanz denken und deuten.

Dass Stabels Deutungen und Kommentare zu Dreh- und Angelpunkten in der Entwicklung des Tanzes nicht zuletzt durch seine heutige Sprache voller Leben, Lebenszugewandtheit und ganz eigener Lebenserfahrung stecken, macht sie sympathisch und glaubhaft, selbst dort, wo sie, wie im Fall der Vermutungen zu Waganowas Lehrmethode, mutig heikle Themen berühren.

Zu kurz gerät der Teil über das Neoklassische Ballett, überzeugend der Theorie-Exkurs von Aristoteles über Noverre, Fokin, Graham bis Brecht, scharfsinnig und ironisch der Abschnitt zum Ballett im Sozialismus. Pina Bauschs und Tom Schillings Tanztheater werden konfrontiert, der Terminus »zeitgenössisch« seziert. Dass manche Texte bereits an anderer Stelle veröffentlicht und nun angepasst und resümierend versammelt wurden, ist als Methode legitim.

Am Ende verhält es sich mit Stabels Band wie mit seiner Auffassung zu »Schwanensee«: Er ist eine Baustelle, dessen Lücken hin zu einer in sich geschlossenen Tanzgeschichte er hoffentlich irgendwann schließt.

Ralf Stabel: Rote Schuhe für den Sterbenden Schwan. Tanzgeschichte in Geschichten. Henschel Verlag, 192 S., geb., 19,90 €.

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