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Merkel knickt vor Atomkonzernen ein

Bundesregierung verliert im Konflikt um AKW-Laufzeiten weiter an Unterstützung / Länder drohen mit Verfassungsklage

  • Lesedauer: 3 Min.
Mit ihren Plänen zur Laufzeitverlängerung gerät die schwarz-gelbe Bundesregierung immer stärker in die Bredouille. Landesregierungen machen Druck, der Streit um den Beitrag der Atomkonzerne zum Ausbau der Erneuerbaren nimmt zu und eine atomfreundliche Studie hält die Laufzeitverlängerung nicht für unverzichtbar.

Berlin (ND-Stenger/Agenturen). Ein Verzicht auf eine Verlängerung der AKW-Laufzeiten hätte weder nennenswerten Einfluss auf die Strompreise noch auf die Versorgungssicherheit. Zu diesem Ergebnis kommt ein von der Bundesregierung in Auftrag gegebenes Gutachten, wie das »Handelsblatt« unter Berufung auf Regierungskreise berichtete. Die Studie unter Federführung des Energiewirtschaftlichen Instituts der Universität Köln (EWI) wurde am Freitag übergeben und wird nun von Bundeswirtschafts- und -umweltministerium geprüft, bevor Teile veröffentlicht werden sollen. Die Ergebnisse sind eine Grundlage für die Entscheidung über längere Laufzeiten. Das Kabinett will im Herbst über sein Energiekonzept entscheiden.

In der Studie werden Effekte einer Laufzeitverlängerung um 4, 12, 20 und 28 Jahre berechnet. Kritiker bemängeln die Nähe des EWI zur Atomwirtschaft – laut Medienberichten wird das Institut von Stromkonzernen mitfinanziert – und die Vorgaben der Regierung an die Gutachter. Demnach werden bei Laufzeitverlängerungen zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen berücksichtigt, nicht aber im Basisszenario ohne längere Laufzeiten.

Derweil entfernt sich die Bundesregierung weiter von den Meinungen der Bürger. Nach einer neuen Umfrage der Mannheimer Forschungsgruppe Wahlen lehnt weiterhin eine deutliche Mehrheit der Bürger (56 Prozent) längere Laufzeiten ab. 70 Prozent finden eine Brennelementesteuer richtig und sogar 81 Prozent eine zusätzliche Abgabe der Konzerne zur Förderung erneuerbarer Energien.

Genau letzterer Punkt wird aber immer unwahrscheinlicher: Nach einem Bericht der »Süddeutschen Zeitung« plant die Regierung nur noch freiwillige Investitionen der Energiekonzerne. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) spricht inzwischen lediglich von einem »Beitrag« der Konzerne. Vize-Regierungssprecher Christoph Steegmans erklärte am Freitag dazu süffisant: »Der Begriff ›Beitrag‹ ist nicht ohne Bedacht so eingeführt worden.« Die Kanzlerin spreche nicht von einer Abgabe.

Im Klartext könnte dies heißen: Investitionen, die die Konzerne ohnehin etwa beim Bau von Offshore-Windparks oder in den Netzausbau tätigen wollen, werden als Gegenleistung für die Laufzeitverlängerung akzeptiert. »Wenn sich Bundeskanzlerin Merkel auf so einen faulen Deal einlässt, kommt das politisch einer Kapitulationserklärung gegenüber den Atombossen gleich«, kritisierte der Energieexperte von Greenpeace, Tobias Münchmeyer. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) forderte, bei längeren AKW-Laufzeiten sollten Teile der Zusatzgewinne einkassiert und in Infrastruktur, Speicherkapazitäten sowie Energiesparen investiert werden. Zudem würde die »Marktmacht« der großen Konzerne weiter zementiert, wenn ihnen erlaubt werde, im großen Stil in neue Märkte zu investieren, so DIW-Expertin Claudia Kemfert.

Derweil formiert sich der Widerstand im Bundesrat. Mehrere SPD-regierte Länder wollen mit einer Verfassungsklage reagieren, sollte Schwarz-Gelb die Laufzeitverlängerung ohne Beteiligung des Bundesrates beschließen. Landesumweltminister von SPD, Grünen und Linkspartei warnten am Freitag in einem Appell davor, durch längere AKW-Laufzeiten die Energiewende zu gefährden. Ein Antrag, der die Feststellung der Zustimmungspflicht fordert, wird demnach von mittlerweile 9 der 16 Bundesländer unterstützt, darunter drei CDU-Regierungen. Schwarz-Gelb hat keine Mehrheit in der Länderkammer und möchte diese daher umgehen. Juristen der Koalition prüfen derzeit, wie der Bund die Laufzeitverlängerung ohne Einbindung der Bundesländer umsetzen kann.

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