Wagnerklänge im Liegestuhl

Ende des Festspielsommers in Bayreuth

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Ohne den witzigen Kinder-Tannhäuser auf der Probebühne, hat es nach der letzten Meistersinger-Vorstellung am Samstag insgesamt dreißig Vorstellungen auf dem Grünen Hügel gegeben. Neben dem kontroversen Hans-Neuenfels »Lohengrin« im Rattenlabor und den drei (endlich!) letzten Tankred Dorst Ring-Zyklen stand nur noch der »Parsifal« von Stefan Herheim auf dem Programm. Der setzt ebenso explizit auf eine zeit- und werkkritische Sicht wie Katharina Wagner mit ihren »Meistersingern«. Der Norweger, dessen Inszenierung jetzt ihre zweite Wiederauflage erlebte, hat zudem, ziemlich extensiv, auch noch eine psychologische Studie über die vielschichtige Kundry, die einzige Frau in diesem Männeropus, hinzugefügt, bei der man nach wie vor Mühe hat, jeden Perspektivenwechsel und assoziativen Bezug mit zu verfolgen.

Zum Raum wird hier die Zeit, sagt Gurnemanz zu Parsifal (Christopher Ventris), wenn der das erste Mal einer Gralsenthüllung beiwohnt. Und genau da verwandelt sich in dem genialischen Bühnenwunderwerk von Heike Scheele Wagners Villa Wahnfried, auf offener Szene und auf so wundersame Weise, in den Gralstempel der »Parsifal«-Uraufführung, dass einem immer noch der Atem stockt. Bei Herheim und Scheele wird der Bühnenraum zum anschaulichen Bild für eine zu großen Zeitreise: Sie führt von der (Kaiser-)Entstehungs-Zeit, über das Klingsor-Lazarett des ersten Weltkrieges und den aufgezogenen Hakenkreuzfahnen vor der Villa Wahnfried, hin zu den Kriegsruinen und dann geradewegs hinein in den Tempel der Demokratie, für den der Bonner Bundestag die Vorlage gibt, und endet mit einem projizierten Globus, über den sich Gurnemanz, Kundry und ein kleiner Parsifal von außen wundern dürfen. Herheim konnte die Inszenierung, wegen der begrenzten Mittel, zwar nicht, wie er es wollte, an einigen Stellen sichtbar verändern, aber er hat sie doch im Sinne erhaltender Präzision überarbeitet. Schon wegen der neuen Kundry, Susan Maclean. Die fügte sich mit vor allem spielerischem Gewinn in das bewährte Parsifal Ensemble ein. Und Daniele Gatti im verdeckten Graben narkotisierte zwar nicht mit seinem Parsifalklang, trug aber doch entscheidend zur Gesamtfaszination dieser Produktion bei.

Es bleibt gerade bezogen auf das Bühnenweihfestspiel, wie übrigens schon bei dessen Vorgänger-Inszenierung von Christoph Schlingensief, ein Konstruktionsfehler der DVD- und Public-Viewing-Strategie der neue Führungsspitze auf dem Grünen Hügel, dass es ausgerechnet von diesen beiden auf ihre Weise spannenden und extrem bilderreichen Parsifal-Produktionen keine Aufzeichnung oder Übertragungen gab und geben wird. Auch wenn es, wie Katharina Wagner zu Beginn der Festspiele sagte, aktuell nicht an ihr, sondern an Teilen des Produktionsteams liegt. Vielleicht wehrt sich ja in diesem Falle obendrein der Geist des Besonderen – gerade »Parsifal« ist eben genau das Werk für genau dieses Festspielhaus.

So wurden die Bayreuther Zuschauer des Public Viewing am 21. August mit der »Walküre« aus Tankred Dorsts auch in ihren Folgejahren kaum wirklich zu rettender Ring-Inszenierung beglückt. Wobei sich deren musikalische Qualität dank Christian Thielemann im Graben und der Stimmgewalt des (wenn auch darstellungsresistenten) Tenor-Schwergewichtes Johan Botha als Siegmund wohl doch nur dem Publikum im Festspielhaus wirklich erschließen können. Für die Besucher des nunmehr, dank fortgesetztem Sponsering, dritten Public Viewing auf dem Bayreuther Volksfestplatz, die nur mal reinschauen wollten, hatte womöglich der ebenfalls übertragene »Tannhäuser« für Kinder die Wirkung, die sich Katharina Wagner bei ihren Aktivitäten für die Nachwuchsförderung verspricht. Wagner bei Sonnenschein im Liegestuhl – warum nicht.

Ansonsten haben die beiden Töchter Wolfgang Wagners die ersten Festspiele ohne ihren Vater nahezu reibungslos über die Bühne bekommen. Dass die Finanzierung der neuen Probebühne (fünf Millionen Euro) noch nicht in trockenen Tüchern ist, dass es Spannungen mit der Gesellschaft der Freunde von Bayreuth (die im Stiftungsrat Sitz und Stimme hat) gab und Katharina fortan auch mit einem dynamischen (und nicht nur der ehrwürdigen Institution, sondern wohl auch ihr persönlich loyalen) neuen Förderverein »Taf«f (»Team aktiver Festspielförderer«) rechnen kann, belegt eher, dass der Führungswechsel bislang professionell funktioniert.

Was allerdings tatsächlich langsam prekär wird, ist die Frage nach dem Ringregisseur oder vielleicht auch den Ring-Regisseuren für das Jubiläumsjahr 2013. In der Planung des internationalen Opernbetriebes ist das fast schon gestern. Und viele der von ihrem Potenzial her in Frage kommenden Opern-Profis haben schon (oder werden) ihren eigenen Ring anderswo als in Bayreuth im Visier. Wenn im kommenden Jahr Sebastian Baumgarten seinen »Tannhäuser« vorstellt und dann im Jahr drauf, Sebastian Nübling einen neuen »Holländer« auf dem Grünen Hügel anlanden lässt, dann ist man bei den szenischen Deutungen jedenfalls auf der Höhe der Zeit. Der »Ring« müsste das eigentlich toppen oder zumindest auf Augenhöhe bleiben. Bislang steht nur Kirill Petrenko als Dirigent fest. Der hatte in Meiningen schon einmal mit einem Ring Furore gemacht und war dann fünf Jahre an der Komischen Oper.

Bis zum 5. September kann unter www.siemens.com/festspielnacht die Walküre in der Inszenierung von Tankred Dorst als Webstream-on-demand (Für 14,90 Euro) ansehen werden.

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