Der neue Türen öffnet

Museum Frieder Burda: Miró – Die Farben der Poesie

  • Liane Kotsch
  • Lesedauer: 5 Min.

Miró? Ach, ja, das ist der Künstler mit den bunten Punkten und schwarzen Strichnetzen auf den strahlend primärfarbigen Bildgründen, dessen Motive sich so herrlich zu dekorativen Designs umarbeiten lassen ... Zum Beispiel als Muster auf Kaffeetassen, Tüchern, Schirmen, Plakaten etc. etc. Genau dieser Joan Miró sah sich schon 1969 genötigt, eine Ausstellung in Barcelona zu zeigen, die sich ausdrücklich gegen die Besetzung und Plünderung seines Bildrepertoires durch Diktator Franco, aber auch durch Designer und Plakatmaler wandte. So malte er in der Nacht vor der Eröffnung dieser Schau aggressive Bilder auf die Fensterscheiben des Präsentationsortes – ein Verbandshaus junger Architekten –, um klarzustellen, dass er nicht käuflich sei. Und wusch sie wenige Tage später wieder ab.

Kommerzialisierung und Merchandising hin oder her, die klassische Moderne begeistert heute noch immer und zieht entsprechend viele Besucher ins Museum. Kein Wunder, dass auch Sammler und Museumsstifter Frieder Burda den Traum hatte, einmal eine Ausstellung des Klassikers Joan Miró in sein Haus zu holen. Bereits vor fünf Jahren begannen die Vorbereitungen zu dieser aufwendigen Exposition, die der Kurator und langjährige Miró-Kenner und -freund Jean-Louis Prat gestaltet hat. Dank solch guter Kontakte kamen rund 100 Werke des berühmten Katalanen nach Baden-Baden. Zum Teil stammen sie aus renommierten Museen wie dem Centre Pompidou Paris oder der Fondation Beyeler in Riehen, teilweise kommen sie aus Privatbesitz bzw. Familienbesitz der Mirós und waren noch nie in der Öffentlichkeit zu sehen.

Die Exklusivität wurde entsprechend bei der Eröffnungspressekonferenz unterstrichen: ein Enkel des Malers, Joan Punyet Miró, war anwesend. Der erinnert sich zwar an seinen Großvater kaum als privaten Opa, sondern eher distanziert als berühmten Maler, in dessen Atelier er hin und wieder zu Besuch war und die Frage, ob er selbst auch male, beantwortete er mit einem kategorischen »Niemals!«, aber als Leihgeber und Repräsentant der Familie spielte er eine gewichtige Rolle.

Inhaltlich ist die Schau als Retrospektive angelegt, die alle wichtigen Schaffensphasen umfasst und die künstlerische Entwicklung nacherleben lässt. Die frühesten vertretenen Arbeiten des 1893 in Barcelona geborenen Künstlers wurden in den Jahren 1916-19 gemalt und sind im Obergeschoss zu sehen. Sie stehen für die wenig bekannten Anfänge, die sich an Cézanne und dem Kubismus orientieren. Ein Bild von 1919, das den Ort Mont-roig zeigt, in dem sich Miró häufig aufhielt, ist ein Beispiel für einen kleinteiligen, »naiven« Stil, der trotz aller Details die Gegenstände bereits vereinfacht und die Landschaft verflächigt.

Die kleinen Schritte von dieser noch realistischen Phase hin zur Darstellung, die alle Bildgegenstände als Flächen, Farben und Zeichen auffasst, ist allerdings kaum dokumentiert. Denn ähnlich wie Piet Mondrian sich über das Motiv des Baumes zur Abstraktion vortastete oder Wassily Kandinsky, der sich letztlich erst über das freie Spiel mit geometrischen Formen vom Vorbild der vereinfachten Landschaftsdarstellung lösen konnte, entwickelte sich auch die Zeichensprache Joan Mirós in vielen kleinen Stufen. Was ihn in seiner »Ungegenständlichkeit« freilich von anderen und speziell von den Konstruktivisten aus Russland, von De Stijl, Bauhaus etc. unterscheidet, ist, dass der Katalane ganz und gar nicht auf die Klarheit, Kühle und Absolutheit zielte, die regelrecht missionarisch-erzieherisch wirken wollte und in der Endkonsequenz alles Individuelle verschwinden lässt. Nein, Miró blieb trotz aller Abstraktion immer dem Diesseits und dem ganz konkreten Leben verbunden.

»Für mich ist Form niemals etwas Abstraktes, es ist immer ein Zeichen von etwas. Es ist immer ein Mensch, ein Vogel oder sonst etwas. Für mich ist Form niemals Selbstzweck.« – So beschrieb der Künstler einmal seine Herangehensweise. In diesem Bezug zum Leben, zu den Emotionen und dem Archetypischen liegt der tiefere Grund, warum der Künstler dem Surrealismus zugerechnet wird, wenngleich er durch seine Kontakte zur Pariser Surrealisten-Szene auch oberflächlich betrachtet in dieser Richtung beeinflusst war. So praktizierte er ebenfalls das »automatische Zeichnen« – das Wandernlassen des Stiftes ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen. Diese Technik hatten die Surrealisten entwickelt um die Bilder des Unterbewusstseins anzuzapfen und sichtbar zu machen – und das sowohl in der bildenden Kunst als auch in der Literatur. Auf diese Weise ließ auch der katalanische Künstler das Statisch-Konstruierte der ersten Bilder hinter sich und fand zu den für ihn typischen, frei fließenden Zeichen, die eben die Realität auf Archetypisch-Sinnbildliches reduzieren.

Mehrere dieser typischen Miró-Bilder mit ihren Linien, Symbolen, starken, klaren Farben und reiner Zweidimensionalität in repräsentativem Format sind in der Schau vertreten und entfalten im Hauptsaal des tageslichtdurchfluteten Museumsbaus ihre starke Wirkung. Relativ wenig bekannt und überraschend sind einige Bilder aus den 1960er Jahren, die durch den Künstler »umgestaltet« wurden. Das heißt, er kaufte auf dem Trödelmarkt alte Ölgemälde und überarbeitete sie teilweise mit seinen eigenen Zeichen. In diesen Raritäten ist der Künstler in seiner ganzen Vielseitigkeit und Experimentierfreude präsent, die schon seinen Landsmann Picasso beeindruckte, denn er sah Miró in gewisser Weise als seinen Nachfolger: »Nach mir bist du es, der neue Türen öffnet ...«, äußerte er sich anerkennend.

Neben dem keramischen Werk (ab 1944) ist in Baden-Baden auch das bildhauerische Oeuvre von Pop Art-Adaptionen bis hin zu monumentalen Skulpturen (ab 1966) vertreten. Zwei große Bronzeplastiken – Frauen, gleichfalls auf überindividuelle Aspekte verkürzt – gehören dabei zur Sammlung Frieder Burda und zieren dauerhaft den Außenraum um das Ausstellungsgebäude. Beeindruckend ist bis heute die Frische und Leichtigkeit der besten Arbeiten, die Tiefgang und Sinnenfreude vereinen und trotz ihrer »naiven« Form nie banal sind – eine Qualität, bei der sich jegliche »Verwurstung« von selbst verbieten sollte und an der sich jede zeitgenössische Kunst messen lassen muss.

Miró – Die Farben der Poesie, bis 14. November, Di-So 10-18 Uhr im
Museum Frieder Burda, Lichtentaler Allee 8b, 76530 Baden-Baden. Katalog.
www.museum-frieder-burda.de

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