»Grüne Kohle« aus Sachsen

Der Landschaftssee Großstolpen südlich von Leipzig ist längst mehr als ein Geheimtipp für Ausflügler und Naturfreunde. Dutzende gefährdete Vogelarten leben auf dem Gelände des ehemaligen Braunkohlereviers in friedlicher Koexistenz mit Badefreaks und dem G

  • Harald Lachmann, Borna
  • Lesedauer: 6 Min.
Wo früher die Bagger Braunkohle ans Tageslicht förderten, tummeln sich heute an warmen Sommertagen Badegäste. Für den landschaftlichen Umbau zeichnet auch Andreas Günther verantwortlich. Fotos: Lachmann
Wo früher die Bagger Braunkohle ans Tageslicht förderten, tummeln sich heute an warmen Sommertagen Badegäste. Für den landschaftlichen Umbau zeichnet auch Andreas Günther verantwortlich. Fotos: Lachmann

Die Straße von Neukieritzsch nach Groitzsch führt erkennbar durch Kohlerevier. Tagebaugeräte, Abraumhalden, Abwasserrohre drücken dem Land ihren Stempel auf. So verwirren geradezu die Schilder, die auf halber Strecke plötzlich an einen nahen Strand locken, für ein Eiscafé werben, Sport- und Spielplätze empfehlen. Doch der Parkplatz am Rande des Örtchens Großstolpen, direkt an einem lang gestreckten See gelegen, ist gut gefüllt an diesem Spätsommernachmittag. Halbwüchsige nutzen die Pontons in Ufernähe für gewagte Salti. Ein Vater zeigt seinen Buben, wie man flache Steine so ins Wasser schnipst, dass sie über die Wellen hüpfen. Hier und da führt jemand seinen Hund aus. Ein wenig entfernt lassen sich Radler erkennen und auf der Ostseite des Sees auch einige Jagdkanzeln. Offenkundig gibt es auch allerhand Wild im gut gewachsenen Unterholz.

Ja, das knapp 31 Hektar große Gewässer sei ein rechtes Kleinod geworden, freut sich Andreas Günther. »Und vielleicht«, sinniert der verantwortliche Planer der Mibrag, wenn er immer mal vorbeischaut, »hätten wir damals noch ein wenig kreativer sein sollen: Hier noch eine weitere Bucht, dort eine zusätzliche Insel.«

Anfang der 90er: Wilde Nachwendezeiten

Damals – das war 1991, knapp nach der Wende, als die Kohleförderer im Leipziger Südraum allerlei Prügel bezogen und so den leiderprobten Anrainern gern etwas zukommen ließen, was Günther heute nüchtern einen Akzeptanzbeitrag nennt. Gewissermaßen eine kleine Zugabe, ein landschaftsgestalterischer Bonus, der weder bergbautechnologisch nötig noch betriebswirtschaftlich rentabel war. »Technisch wären wir allemal in der Lage gewesen, die Erdkruste nach Ende des Kohleabbaus in diesem Revier wieder restlos zu schließen«, sagt Günther. Da hätte keine »Verlegenheitshohlform« bleiben müssen, wie es im Bergmannsdeutsch heißt.

So aber stapfte der damals 30-jährige Ingenieur – eigentlich zuständig für die Planung neuer Grubenverläufe – manchen Tag in Gummistiefeln unter den gewaltigen Abraumabsetzer im Tagebau Schleenhain und dirigierte quasi freihändig dessen Fahrer, wie er den künftigen See modellieren solle. Da galt es, unterschiedliche Tiefenbereiche anzulegen, eine große Vogelschutzinsel auszubilden, hohe Uferbereiche wie auch Flachwasserzonen zu schaffen. Doch ständig hätten sie dabei unter Zeitdruck agiert, erinnert sich der heutige Abteilungsdirektor Technische Planung. Mit mehr Ruhe wäre noch manches mehr drin gewesen.

Aus der Region kam dennoch viel Beifall. Vertreter der Kommunen, mit denen man das alles oft auf Zuruf ausbrütete, riefen dauernd an, fragten nach, ob noch dies ginge oder jenes machbar sei. »Es waren wilde Tage, Gründerzeit eben – wir schufen einfach Tatsachen!«, lacht Günther. Und von diesen Erfahrungen zehre man bis heute.

Ein wenig ihren eigenen Kopf hatten die Kohleleute schon. Mancher im Umland hätte gern einen kompletten Badeteich vor die Tür gesetzt bekommen. Sie aber wollten mehr. Freizeitvergnügen sollte sich mit Naturschutz arrangieren, stille Erholung auch extensive Mutterkuhhaltung und Streuobstwiesen respektieren – »... und hier und da gar ein Totalreservat, in dem sich Fauna und Flora nach eigenem Gutdünken betun«, erzählt Marcel Schmidt. Er leitet seit vielen Jahren den hauseigenen Rekultivierungsbetrieb Gala-Mibrag-Service GmbH. Seine Leute befestigen, begrünen und forsten verkippte Flächen auf, unter denen keine Kohle mehr zu holen ist, ziehen neue Wege durch die Ödnis und formen raffinierte biologische Klärsysteme.

Als sie das gut hundert Meter lange Strandterrain im sonnengünstigen Südostzipfel des Großstolpener Sees planten, so erinnert sich Schmidt, »dachten wir an drei, vier Dutzend Jugendliche aus den umliegenden Dörfern«, die das Areal nutzen würden. Nie hätten sie sich träumen lassen, dass sich hier an heißen Tagen einige Tausend am Tag tummeln – immerhin in Sichtweite des Kraftwerkes Lippendorf, wohin die Kohle geliefert wird. Die Wege, die am Strandbad wahlweise beginnen oder enden, sind gut ausgeschildert und zugleich mit Schranken vor allzu fußfaulen Zeitgenossen abgeschottet. Denn um den See wurden auch überraschend viele Tiere heimisch. 97 Vogelarten registrierten Ornithologen mittlerweile, teils auch als Durchzügler oder Nahrungsgäste. Fast zwei Fünftel von ihnen gelten gar als bestandgefährdet, ist von Harald Krug zu erfahren. Der Chef der Ökostation Borna-Birkenhain galt einst als erklärter Gegner der Kohle. Heute lädt er ganzjährig mit seinem Team zu Vogelbeobachtungen und Naturführungen rund um die frühere Grube ein. Dann geht es auch auf die Pirsch nach den neuen Stammbewohnern der geschützten Uferzonen, wie Brachpieper, Steinschmätzer, Schwarzkehlchen, Flussregenpfeifer und Schafstelze.

2050 kommt das Ende für den Tagebau

Begonnen hatte die Flutung anno 1994. Und zu Ende ist sie im Grunde bis heute nicht. Zwar ist die mit Findlingen markierte Pegelhöhe von vier, fünf Metern fast erreicht. Doch da der See noch keinen natürlichen Wasserkreislauf besitzt, versickere und verdunste weiterhin mehr Nass, als vom Himmel herabregne, erzählt Bergbauplaner Günther. So spendiere ihm die Mibrag Minute für Minute rund einen Kubikmeter sogenanntes Sümpfungswasser, wie es bei der Entwässerung des sich südlich anschließenden Tagebaus Schleenhain anfällt. Alles in allem pumpe man heute dank einer hochmodernen Grubenwasserreinigungsanlage sogar rund 23 Millionen Kubikmeter Tagebauwasser in die Seen des Leipziger Südraums.

Mit einer ausgeglichenen Wasserbilanz rechnet er indes erst, wenn das nahe Flüsschen Schnauder mal seinen Weg durch den Großstolpener See nimmt – quasi umgeleitet wird. In weiser Voraussicht hatten sie deshalb 1991 auch gleich schon einen entsprechenden Taleinschnitt angelegt. Noch ist das Zukunftsmusik. Auf Nachfrage nennt der Ingenieur das Jahr 2050. Dann sei das Kohlenflöz um Groitzsch voraussichtlich erschöpft und es falle im Tagebau kein Wasser mehr an. Bis dahin bleibe der See praktisch Eigentum der Mibrag. Denn jeder andere Besitzer müsste ja sonst erst einmal sehen, wie er zu ausreichend flüssigem Nachschub komme. Und streng landesplanerisch gesehen, so Günther, wäre der Landschaftssee Großstolpen, wie ihn heute die Landkarten nennen, auch noch kein See, nicht einmal ein Gewässer, »sondern im geografischen Sinne eine landschaftliche Hohlform«.

Dass er dennoch inmitten des aktiven Kohlereviers längst landesgestalterische Akzente setzt, ist unübersehbar – so vom künstlich aufgeschütteten Geyersberg, der den Blick weit ins nach wie vor vernarbte Land streifen lässt. Die Aussicht von hier oben verdeutlicht die neu entstandene Vielfalt auf insgesamt 160 Hektar. Wiesen wechseln sich mit Flurholzstreifen, Feldern, Weiden und einem stufigen Laubmischwald aus Eichen, Buchen, Linden und Ahorn ab. Selbst dort, wo sich die Kohleförderer noch befristet Betriebsfläche für den Tagebau in Hinterhand halten, brachte Schmidts Multi-Rekulti-Truppe zum Schutz vor Staub und Erosionen eine Pflanzendecke auf, so dass sich hier nun Grün ausbreitet. »Grüne Kohle« nennt dies sein Namensvetter Horst Schmidt, der technische Geschäftsführer der Mibrag.

Wiederum scheint es sich hierbei um eine Art Bonus auf gute Nachbarschaft zu handeln. Denn mit jener Zwischenbegrünung freiliegender Kohlebestände durch eine Saatmischung aus trockenresistenten Gräsern und Kräutern habe man »weit mehr Akzeptanz erreicht, als wir uns vor fünf Jahren noch vorstellen konnten«, ist Horst Schmidt sicher. Dabei sollte die »grüne Kohle« ursprünglich nur helfen, Staubemissionen auf jenen Betriebsflächen zu vermeiden, die erst in einigen Jahrzehnten von Baggerschaufeln geschluckt werden. Doch nach den ersten positiven Resultaten sei man nun auch daran gegangen, Areale mit einer kürzeren Liegezeit zu begrünen, erzählt er.

Wo dies mit normaler Landtechnik nicht nötig sei, bringe man den Samen auch per Helikopter aus, ergänzt Marcel Schmidt. Allein 2010 wären so am Rande des Tagebaus Schleenhain 78 Hektar zwischenbegrünt worden – die Fläche von über 200 Fußballfeldern. Auf dem Abbaufeld Schwerzau des Tagebaus Profen, das bereits im benachbarten Sachsen-Anhalt liegt, seien sogar 154 Hektar hinzugekommen. Fast eine Million Euro lasse sich die Mibrag jährlich die Landschaftsgestaltung kosten, so der Geschäftsführer.

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