Es klüngelt sich so schön in der CDU...

Einblicke in den Schonraum der Bonner Korruption / Die Freunde des schwarzen Paten von Bonn

  • Werner Rügemer
  • Lesedauer: 8 Min.
Wie sehr die Aufregung um den »Kölner Klüngel« ein selektives Medien-Heuchelei-Produkt ist (bzw. war), erweist sich unter anderen am »Bonner Klüngel«. In der ehemaligen Bundeshauptstadt wurden sehr viel mehr Schmiergelder bekannt, in gleicher Sache: Müllentsorgung, als in der benachbarten Domstadt. Das scheint jedoch kaum jemanden zu interessieren. Liegt es nur daran, dass der heimliche Geldempfänger in Bonn nicht SPD, sondern CDU war?
Die christdemokratisch durchsetzte Staatsanwaltschaft Bonn ist berühmt für ihre Nachsichtigkeit bei christdemokratischen Dauersündern. Zuletzt konnte sich Ex-Kanzler Helmut Kohl trotz Dutzender Strafanzeigen wegen Untreue, Geldwäsche und Beihilfe zur Steuerhinterziehung mit 250000 Mark von einem Urteil freikaufen. Dennoch ist das, was dieselbe Staatsanwaltschaft im Bonner CDU-Sumpf ermittelt hat, schon allerhand.

Schreibers Goldgrube lag ebenfalls im Müll
Am 8. April wurde Reiner Schreiber beim Verlassen des Bonner Rathauses verhaftet. Der CDU-Fraktionsvorsitzende hatte kurz vorher seinen Rücktritt erklärt. Es besteht der Verdacht auf Bestechlichkeit »in einem besonders schweren Fall«. Weil Junggeselle Schreiber nun sein wichtigstes Amt los war, ging die Staatsanwaltschaft von Flucht- und Verdunkelungsgefahr aus. Der mächtigste Bonner Politiker, ein geachteter christlicher Bürger, wurde in Handschellen ins Polizeiauto gestoßen - das »politische Bonn« erbebte, kurzzeitig.
Mit Hilfe Schweizer Ermittler fanden die Staatsanwälte heraus: Schreiber hatte seit 1989 ein Nummernkonto bei einer Bank in Zürich. Das brauchte er, weil er drei Beraterverträge hatte: erstens mit der Schweizer Firma von Roll, zweitens mit der Züricher Firma Turicon, drittens mit der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft BDO Deutsche Warentreuhand. Diese heimlichen Beraterverträge hat Schreiber bis zuletzt abgestritten. Mit gutem Grund: Sie alle haben mit der Goldgrube Müllentsorgung zu tun. Roll war Generalunternehmer der Bonner Müllverbrennungsanlage (MVA), Turicon stellte mit dem ehemaligen Roll-Mitarbeiter Fritz Bangerter den Bauleiter. Die MVA war die erste im Regierungsbezirk Köln, ein Pilotprojekt. Der Vertrag mit von Roll wurde 1988 abgeschlossen, ein Jahr später hatte Schreiber sein Züricher Konto - drei Jahre vor Fertigstellung des Müllofens.
Die Ermittler fanden auf dem Konto zahlreiche Aus- und Eingänge, wobei dem Charakter eines Nummernkontos entsprechend Herkunft und Verwendung bisher offen geblieben sind. Der Kontostand betrug »immer noch« 1,5 Millionen Euro. Durchgelaufen sind sehr viel mehr, die genaue Summe mag die Staatsanwaltschaft nicht nennen. Schreiber gestand bisher lediglich, 650000 Euro Schmiergelder angenommen zu haben. Das sind etwa drei Mal mehr, als dem Kölner SPD-Fraktionsvorsitzenden Norbert Rüther zugesteckt wurden. Trotzdem bezeichnet der Bonner Staatsanwalt Fred Apostel diese Summe als »Restgeld«. Was hat Schreiber mit den »restlichen« Millionen gemacht? In die eigene Tasche gesteckt? Sein Ferienappartement im belgischen Ostende hat nicht so viel gekostet. Auch die Durchsuchung der Wohnungen von Ex-Freundinnen brachte keine Aufklärung: Schreiber hat nicht mit teuren Geschenken um sich geworfen. Hat er also die Bonner CDU finanziert? Hat er an Mitwisser und Mittäter einen Teil des Geldes weiterverteilt? Hat der unscheinbare, unpopuläre Apparatschik mithilfe schwarzer Parteikassen - ähnlich wie Rüther - seine jahrzehntelange Herrschaft in Bonn befestigt?
Jedenfalls haben die Schmiergelder offensichtlich ihren Zweck erfüllt. Von Roll durfte die Bonner Pilotanlage mit einer Auftragssumme von 160 Millionen Euro bauen und erhielt auch den Wartungsvertrag, der bisher 39 Millionen Euro eingebracht hat. 1996 ging ein 35-Millionen-Euro-Auftrag für die Modernisierung der zwei Bonner Heizkraftwerke an ABB. Laut Staatsanwaltschaft hat die Mannheimer Tochter des Schweizer Konzerns Schreiber mit den 650000 Euro geschmiert.
Aber da war ja noch der dritte geheime Beratervertrag Schreibers. Die BDO zahlte an den schwarzen Paten monatlich 3500 Euro. Sie bekam den ständigen Auftrag als Wirtschaftsprüfer der Bonner Stadtwerke, deren Chef Schreiber 16 Jahre lang war. Dafür bekamen die Wirtschaftsprüfer von 1993 bis 1999 immerhin 1,2 Millionen Euro. Und BDO erstellte im Auftrag Schreibers ein Gefälligkeitsgutachten, wonach die Firma T+K der günstigste Bieter beim Verkauf und der Privatisierung der Bonner MVA sein sollte. T+K bedeutet Trienekens und Klaudt. Trienekens, das RWE-Entsorgungs-U-Boot in der Mittelstandsmaske, der größte Müllhändler Deutschlands, und natürlich auch Gesellschafter der Kölner und der Aachener usw. MVA, hat schon die Bonner Müllabfuhr und das Duale System unter sich.
Das ist bei der jahrzehntelangen Herrschaft Schreibers kein Wunder. Helmut Trienekens, der Firmenchef, ist ebenso bekennendes CDU-Mitglied wie Kaufmann Detlef Klaudt. Den beiden fehlte zu ihrem Bonner Müllparadies nur noch die MVA. Nach Erkenntnissen der Fahnder schleuste T+K über die Tochterfirma EBV im Mai 2000 rund 430000 Euro an die Schweizer Briefkastenfirma Stenna. Über Stenna liefen auch Schmiergelder für die Kölner MVA. Der Zweck und die Letztempfänger des Geldes sind bisher unklar. Klar ist wohl, dass die Empfänger nicht in Köln saßen, die wurden aus einem anderen Stenna-Topf bedient. Wieder Schreiber?

Ohne Mitwisser und Mittäter lief nichts
Das BDO-Gutachten jedenfalls sollte mit Schreibers Segen den Ausschlag geben. Übrigens spendeten die Wirtschaftsprüfer von BDO, bevor sie den Auftrag für das Gutachten bekamen, 20000 Mark an die CDU. Heimlich, der Betrag ist im Rechenschaftsbericht der CDU nicht ausgewiesen. Man war ja unter sich: Der Bonner BDO-Leiter Ulrich Pago ist Präsidiumsmitglied der Bonner IHK und Bonner Sprecher des CDU-Wirtschaftsrates. Deswegen durfte Schreiber dann beim Wirtschaftsrat auch mal als Experte für »aktuelle Fragen der Bonner Kommunalpolitik« auftreten, gegen ein ordentliches Honorar, versteht sich. Wegen der Kölner Müllaffäre und weil RWE durch den vollständigen Aufkauf von Trienekens nun den belasteten Namen von der Landkarte tilgt, sind die Verkaufsverhandlungen jetzt gestoppt.
Der »schwarze Pate von Bonn« blickt auf eine lange Herrschaftszeit in der seit Konrad Adenauers Patronat bis 1994 christdemokratisch regierten Stadt zurück. In jedem seiner Amtszimmer, die er auf seinem Weg nach oben belegte, hängte er Porträts und Büsten seines großen Vorbildes Adenauer auf. Zögling Schreiber wurde Dezernent, Stadtdirektor, von 1982 bis 1998 war er schließlich Chef der Bonner Stadtwerke. CDU-Fraktionsvorsitzender war und blieb er seit 1987. Er hatte viele Posten. Als Vorsitzender des Verwaltungsrates und des Kreditausschusses der Stadtsparkasse etwa erhielt er jährlich 13000 Euro, zusätzlich zu seinen sonstigen zahl- und umfangreichen Einkünften. Im Aufsichtsrat der Flughafen Köln/Bonn GmbH saß er Seite an Seite mit dem Kölner SPD-Chef Norbert Rüther. Wer in Bonn Bundestagskandidat wurde, wer einen großen Bauauftrag bekam - an Schreiber kam niemand vorbei.
So mächtig er auch war, ohne Mitwisser und Mittäter ging es nicht. Neben BDO- Chef und IHK-Präsidiumsmitglied Pago war da noch der CDU-Politiker Dieter Diekmann. Mit dem Amtsantritt Schreibers als Fraktionschef wurde Diekmann 1987 Oberstadtdirektor. 1999 kam er in Untersuchungshaft. Er soll von einem Immobilienmakler für eine Bestechungssumme in Millionenhöhe den preisgünstigen Verkauf einer Regierungsimmobilie eingefädelt haben. Mit Schreiber hatte Diekmann auch die MVA durchgepeitscht.
Schreiber war Kopf eines Trios, zu dem neben Diekmann noch eine andere Bonner Klüngelgröße gehörte: Christoph Brüse. Der Rechtsanwalt war einstmals Sozius von Theodor Blank gewesen, Sohn des gleichnamigen Verteidigungsministers im Kabinett Adenauer. Blank, Fraktionschef im Bonner Rathaus, verschwand 1987 plötzlich. Der Staranwalt stand unter Verdacht, das Erbe eines Mandanten an sich gebracht zu haben. Blank blieb verschwunden, Schreiber wurde sein Nachfolger. Blank-Sozius Brüse stieg mit Schreiber auf. Er wurde Bezirksvorsteher von Godesberg, sammelte als Mitglied des Bonner Stadtrates Aufsichtsratsmandate und mischt vor allem im Müllgeschäft mit. Freund Schreiber war Vorsitzender des Verwaltungsrates und des Kreditausschusses der Stadtsparkasse, Brüse jeweils sein Stellvertreter. Er ist Verwaltungsratschef der MVA, Rechtsanwalt des T+K-Gesellschafters Klaudt.
Christoph Brüse hatte bis dieser Tage neben seinen Funktionen als Bonner Ratsherr und Bezirksvorsteher von Bad Godesberg noch folgende Ämter: Vorsitzender des Wirtschafts- und des Wissenschaftsausschusses, Mitglied des Hauptausschusses. Vorsitzender der Stadtwerke-Holding, der Verkehrsgesellschaft Vebowag, der MVA, Stellvertretender Vorsitzender des Verwaltungsrates und des Kreditausschusses der Stadtsparkasse. Mitglied im Aufsichtsrat der Autoschnellfähre und des Beethovenfestes. Nach der Müllaffäre trat er von den Ämtern in den Stadtwerken zurück, bekam aber neue, etwa im Kulturausschuss.

Die Gefälligkeiten aus Anwaltskanzleien
Schreiber hat sich so lange halten können, weil er auch in der Bonner Staatsanwaltschaft Protektion hatte. Will Breuers ist Oberstaatsanwalt mit dem Schwerpunkt Wirtschaftskriminalität; in diese Abteilung fallen auch die Korruptionsermittlungen. Breuers ist aber auch CDU-Ratsmitglied und Obmann seiner Partei im Rechnungsprüfungsausschuss. Die zaghaften Andeutungen der Bonner Grünen, man könnte doch wegen der offenkundigen Unregelmäßigkeiten bei der Auftragsvergabe zum Heizkraftwerk die Justiz einschalten, schmetterte Breuers mit seiner staatsanwaltlichen Autorität gnadenlos ab. Dem Grünen-Geschäftsführer Tom Schmidt drohte er eine Verleumdungsklage an und stellte ihm eine fünfstellige Bußgeldsumme in Aussicht. Die Korruptionsvorwürfe seien »schäbig« und eine »üble Schmutzkampagne«, ließ Breuers zum Schutz seines Freundes Schreiber am 14. September 2000 per Presseerklärung verkünden. Anderthalb Jahre später erweisen sich die starken Sprüche des Herrn Staatsanwalts als Gefälligkeitsbekundungen.
Schreiber ist keineswegs der Einzige, der Schmiergeld einkassiert haben soll. Ermittelt wird auch gegen den CDU-Ratsherrn Michael Salitter, Vorsitzender des Bauausschusses. Er wird demnächst vor Gericht stehen. Ihm soll der Geschäftsführer der Baumarktkette Hellweg, Unna, 500000 Mark zugesagt haben, wenn die Genehmigung für einen Baumarkt in Bonn-Auersberg schnell komme. Und der CDU-Bezirksvorsteher von Bonn-Hardtberg, Gerhard Lorth, jetzt Mitglied des Landtags, hat von Hellweg 10000 Mark für seinen Wahlkampf erhalten.
Schreiber wurde inzwischen aus der Haft entlassen und trat aus der CDU aus. Alle Projekte aus Schreibers 16-jähriger Zeit als SWB-Chef sollen auf den Prüfstand. Die CDU behauptet, nie etwas gemerkt zu haben. Nach der Verhaftung Schreibers hieß es: »Das ist ein Fall Schreiber, kein Fall CDU.« Entsprechend fällt die sofort angekündigte »Runderneuerung« aus. Der Klüngelkreis bleibt eng geschlossen. Die Führung der Fraktion hat Benedikt Hauser übernommen. Er ist zwar mit seinen 38 Jahren relativ jung, aber dafür Mitglied der ältesten Bonner CDU-Patenfamilie. Familienpatriarch Alo Hauser war 29 Jahre lang Bonner CDU-Vorsitzender, Mitglied des Land- und Bundestages. Onkel Norbert Hauser war Bezirksvorsteher in Godesberg und stellvertretender Fraktionschef im Rathaus...
Die Bonner CDU gestand am 25. April, man habe in den letzten Jahren 1,3 Millionen Mark erhalten. Die Großspender werde man nicht nennen, so der CDU-Vorsitzende Helmut Hergarten; sie hätten Anrecht auf »Datenschutz«. »Wir möchten ja weiter Spenden von ihnen bekommen.«
Von W. Rügemer erschien im Verlag Westfälisches Dampfboot »Colonia Corrupta«.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.