Die Taube auf dem Dach

Regisseurin Iris Gusner und die späte Premiere ihres DEFA-Debüts

  • Angelika Kettelhack
  • Lesedauer: 6 Min.
Iris Gusner
Iris Gusner

Die Regisseurin Iris Gusner lernte ich 1978 kennen. Ich wusste zunächst nur, dass sie im DEFA-Spielfilmstudio arbeitete, das heißt, unter den DEFA-Spielfilmregisseuren eine der wenigen Frauen war, kannte aber noch keinen Film von ihr. Wusste zum Beispiel nicht, dass sie als Regieassistentin bei Konrad Wolfs »Goya – oder der arge Weg der Erkenntnis« (1970) mitgearbeitet hatte. Nicht, dass ihr erster eigener Spielfilm, »Die Taube auf dem Dach«, 1972/73 entstanden, nicht zur Aufführung kam. Aber gerade mit ihm kann sie jetzt, im Jahre 2010, einen, wenn auch späten, Triumph feiern: »Die Taube auf dem Dach« hatte endlich Premiere und ist ein Riesenerfolg.

Die Begeisterung der Zuschauer darüber, wie modern dieser 37 Jahre alte Film wirkt, ist erstaunlich. Verblüffend für Iris Gusner die lebhaften Diskussionen der vielen jungen Kinobesucher. Er sei »für sie immer noch sehr aktuell, weil sich an den grundlegenden Problemen nur wenig geändert hat und die Krisen im Leben von Menschen immer noch dieselben sind. Das hat mich total überrascht. Mit einem solchen Echo konnte ich ja nun nach so vielen Jahren wirklich nicht mehr rechnen«.

Die Geschichte dieses fast 40 Jahre lang verschollenen Films ist recht außergewöhnlich: Bei der Abnahme durch die Studio-Chefs gab es noch Zustimmung, aber in der Vorführung für das Filmministerium fiel er durch: Er wurde nicht endgültig verboten wie viele andere zu dieser Zeit, aber er wurde auch nicht gezeigt. Fatalerweise wurde sogar das Gerücht gestreut, die Gusner sei nicht fähig gewesen, diesen Film zu Ende zu bringen. Zum Glück wusste Iris damals noch nichts von dieser üblen Nachrede. Sie erklärte sich die Sache so: »Spielfilme mussten natürlich mit dem großen politischen und jeweils aktuellen kulturpolitischen Kurs der DDR übereinstimmen, denn der Geldgeber war der Staat. – Dennoch ist für mich persönlich die jetzige Premiere mit viel Wehmut verbunden – auch, was die eigene Entwicklung betrifft.«

Dass Roland Gräf, der Kameramann der »Taube«, 1990 die Arbeitskopie wiederfand, war unter anderem einem Versehen zu verdanken: Auf allen Filmbüchsen stand noch »Daniel«, der Name des unangepassten Studenten, der im Film in seinen Ferien im Baukollektiv jobbt und sich tatenhungrig immer wieder beklagt: »Mich interessiert das Jahr 2000 und ihr lasst mich Sand schippen.« Solche Sätze sind übrigens typisch für Iris Gusner, die – wie fast alle Hauptfiguren in ihren Filmen – »Mitspieler« im gesellschaftlichen Leben sein wollte. »Wir mischten gern mit in der Hoffnung, dass alles besser würde, wenn wir den Sozialismus unterstützen. Den Kapitalismus kannte ich nicht. So wie er gelehrt wurde, war der keine Alternative. Erst viel später, 1985, sagte ich mir, ich muss aufpassen, irgend etwas haut hier nicht mehr hin.«

Sie fühlt sich aber heute nicht etwa als Opfer und will keine Abrechnung mit der DDR. Inzwischen hat sie sich sogar damit abgefunden, dass ihre Akten im Mai 1992 »ersatzlos vernichtet« wurden und sie erst 1997 ein schmales Bändchen – zusammengestellt aus den Akten anderer Leute – erhalten hat. »So muss ich wenigstens nicht spät noch entdecken, ob einige meiner Freunde vielleicht doch meine Feinde waren. Nur eins hätte ich gern durchschaut: Wieso hat man mich immer wieder Filme machen lassen und welche Taktik haben die ›Fürsten‹ dabei verfolgt?« Vielleicht wusste man ihr Können im Grunde genommen doch zu schätzen, vermute ich, oder wollte zumindest profitieren von ihrem siebenjährigen Regie-Studium bei Michail Romm an der Filmhochschule WGIK in Moskau, für das sie schon in ihrem ersten Studienjahr an der Filmhochschule in Potsdam-Babelsberg ausgewählt worden war. Oder sie habe ihre Vorgesetzten mit ihrer für sie charakteristischen Entschiedenheit und Bestimmtheit beeindruckt. Sie lacht über meine Thesen: »Vielleicht haben die ja wirklich gedacht, die Gusner weiß, was sie will, der können wir die großen Gelder ruhig anvertrauen.« Ich nehme an, dass Iris durch ihre heitere und humorvolle Ausstrahlung häufig wichtige Leute für ihre Sache gewinnen konnte.

Iris denkt nach, wann ihre Zweifel an der großen Veränderung begonnen haben könnten. »Eigentlich in Moskau. Da gab es für mich schon den ersten, noch unmerklichen Knacks. Wir lebten in einer Weltstadt, aber die Armut war sehr groß, es gab viele politisch Verfolgte und man konnte nicht offen reden.« Trotzdem wollte sie, zurück in der DDR, weiter am Aufbau einer sozialistischen Gesellschaft teilnehmen. Erst mit der Ausbürgerung Biermanns 1976 wurden ihre Zweifel wieder stärker: »Über zwei Jahrzehnte nahm der Druck beständig zu. Ich wurde unfroh, resigniert und hoffnungslos.« Andererseits wollte Iris auch nicht undankbar erscheinen, ihr war immer bewusst, dass sie mit dem sicheren Gehalt einer DEFA-Spielfilmregisseurin in der DDR als alleinerziehende Mutter mit zwei kleinen Kindern einigermaßen gut leben konnte.

Andererseits: »Wie überall auf der Welt sind auch bei uns Regisseure beschädigt worden. Wenn du über Jahre keinen Film machen kannst und keine konkrete Aussicht hast, einen machen zu können – wir hatten ja nur dieses eine Studio für Spielfilme –, was nützt dir dann dein Monatsgehalt? Ich litt unter dem Ausgeliefertsein! Was sollte ich noch anfassen?« Nach dem erfolgreichen »Alle meine Mädchen« (1980), nach »Wäre die Erde nicht rund ...« (1981) und »Kaskade Rückwärts« (1983) war »Ich liebe Dich – April! April!« (1987/88) ihr letzter in der DDR gedrehter Film. »Nicht mal mehr eine so harmlose private Beziehungskiste fand ein ungeteiltes Echo: Schon der Hut, den der polnische Hauptdarsteller Jan Nowicki im Film trug, soll die Oberen auf die Palme gebracht haben.« Wie schon immer bei allen Gusner-Produktionen hieß es: »So sind unsere Menschen nicht!« Selbst die bewusst ausgesuchten schönen Ecken der Hauptstadt wurden beanstandet.

Im Sommer 1989 hatte Iris Gusner ein sogenanntes Mehrfach-Ausreise-Visum erhalten. Also fuhr sie mit nur kleiner Tasche zu Freunden nach Bonn. Sie dachte nicht daran, wichtige Papiere mitzunehmen. In Bonn entschloss sie sich dann aber, »nach vier Wochen schrecklicher Zweifel«, das Ausreise-Visum nur ein Mal zu nutzen. »Ich gehe nach Köln, weil diese Stadt als Filmmetropole mit Zukunft gilt«, übermittelte sie nach Hause.

Tatsächlich durfte sie beim WDR sofort ein Drehbuch für die TV-Serie »Forstinspektor Buchholz« entwerfen und konnte danach noch weitere Folgen schreiben und inszenieren. Zuerst war sie hocherfreut, wie schnell sie damit viel Geld verdienen konnte. 1992 drehte sie sogar für den NDR ein 80-minütiges Fernsehspiel: »Sommerliebe« mit Iris Berben in der Hauptrolle. Aber ihre Sehnsucht blieb der Spielfilm für das Kino. In den 14 Jahren, die sie in Köln lebte, scheiterten die Versuche aber immer am Geld.

»Trotzdem, ich kann nicht meckern, wie der Berliner sagt, denn jetzt erlebe ich ja doch noch eine erfolgreiche Premiere.« Die wahrscheinlich letzte – mit dem ersten Spielfilm.

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