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Raubmord in der Steinzeit

Archäologen klären mit neuesten Methoden 4500 Jahre altes Verbrechen an der Saale auf

  • Eckart Roloff
  • Lesedauer: 4 Min.

Es sind erstaunliche Sätze, die da stehen: »Im vierten Lendenwirbel der Frau steckt eine abgebrochene Pfeilspitze aus Feuerstein, die die Schlagader zerriss«, »der ältere Sohn hat am Hinterkopf ein Loch, offenbar eine tödliche Hiebverletzung«, »in diesem Arrangement drückt sich die enge Mutter-Kind-Beziehung aus«. Das sind nur wenige Beispiele aus einer Kette von Befunden, die nach fünf Jahren harter Arbeit ans Licht kamen. Man findet sie in dem Buch »Tatort Eulau. Ein 4500 Jahre altes Verbrechen wird aufgeklärt«.

Dass es hier um einen Tatort geht, um einen Raubüberfall mit grausigen Ermordungen vor langer Zeit, das macht das Besondere, ja Einmalige dieser Darstellung aus. Dazu kommt die Faszination, dass Experten unterschiedlicher Fächer (darunter Archäologen, Genetiker, Anthropologen, Luftbildauswerter, Isotopen-, Pfeil- und Zahnforscher und sogar ein Kriminalpsychologe) heute imstande sind, präzise und geduldig, ohne viel Spekulation zu rekonstruieren, was in Eulau geschah. Also in Sachsen-Anhalt, nicht weit weg von Goseck und Nebra, anderen herausragenden Stätten unserer Vorgeschichte. Bei Nebra ist die rund 1000 Jahre jüngere weltberühmte Himmelsscheibe bemerkenswert, bei Goseck das schon um 4800 v. u. Z. entstandene Sonnenobservatorium, das auch Kult- und Gerichtsstätte war.

Eulau, an der Saale zwischen Naumburg und Weißenfels gelegen, steht für ein Kapitalverbrechen der Jungsteinzeit. Auf dessen Spuren stieß der Archäologe Robert Ganslmeier bei Grabungen vom Jahr 2003. Seine Gruppe nutzte dort einen Kiesabbau und etliche Luftbilder. Die Schattierungen auf den Fotos lieferten Indizien dafür, dass man dort fündig werden könnte.

Zentimeter um Zentimeter kamen Gräber aus dem dritten Jahrtausend v. u. Z. zum Vorschein, aus der Zeit der Glockenbecher- und der Schnurkeramikkultur. Es waren ungewöhnliche Gräber, vier mit insgesamt 13 Toten. »Solche Mehrfachbestattungen sind immer etwas Besonderes«, bemerkt Ganslmeier. Eulau sieht er als »dramatisches Ereignis«, da sich bald zeigte, dass es hier um Mordfälle ging, mit Feuerstein-Pfeilspitzen und Steinäxten als Tatwaffen.

Ungewöhnlich ist auch die Art der Beerdigung: Die eng verwandten Personen – ihre Beziehungen ließen sich dank DNA- und Chromosomenuntersuchungen weitgehend klären – liegen sich gegenüber, von Angesicht zu Angesicht, sie berühren einander an Händen und Füßen. »Diese liebevolle Bestattung erweckt Mitgefühl und scheint die sozialen Beziehungen im Tod zu bewahren«, heißt es dazu in der Fachzeitschrift »Archäologie in Deutschland« (Heft 5/2010).

Die Auswertung des Fundes brachte einen Superlativ: Unter den Todesopfern von Eulau ist die älteste Kernfamilie, die weltweit jemals nachgewiesen wurde – Vater, Mutter, zwei Söhne, allesamt Zeugen uralter menschlicher Emotionen aus Hass, Besitzanspruch und Gewalt. Das »Time Magazine« hat 2008 die Relikte und Erkenntnisse über Eulau zu den zehn wichtigsten wissenschaftlichen Entdeckungen der Welt gerechnet.

Dargestellt werden die Funde und deren Auswertung in dem erwähnten Buch. »Tatort Eulau« enthält aber nicht nur Beiträge zur Bergung, Untersuchung und Interpretation, sondern ebenso fünf fiktionale Erzählungen darüber, wie Täter und Opfer das grausige Geschehen erlebt haben könnten. »Unseres Wissens wird hier zum ersten Mal in einem archäologischen Rahmen eine solche Verknüpfung zwischen fiktiver Handlung und Fakten geschaffen«, teilt der Verlag auf Anfrage mit. »Wir konnten mit Harald Meller einen außerordentlich kompetenten Autor gewinnen, der zudem diese Stories spannend erzählt.«

Meller ist aber nicht nur Mitarbeiter und einer der drei Herausgeber dieses Buches, sondern auch Chef der Sammlung, die große Teile der Eulauer Schätze öffentlich ausstellt. Sein Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle gehört zu den ältesten, größten und besten deutschen Häusern dieser Art. Rund elf Millionen Objekte finden sich hier erfasst, auch die Himmelsscheibe von Nebra ist zu bestaunen. Ebenso bekommt man Aufschluss über die »Steinzeittragödie von Eulau«, um einen Begriff der Museumsleute aufzugreifen. Sie zeigen drei der vier Gräber (auch das mit der ältesten Kernfamilie) in ungewöhnlicher Präsentation: als originale Blockbergungen senkrecht in einer Wand aufgestellt. Außerdem werden die Funde in mehreren Zeichnungen und Texten anschaulich erläutert.

Glücksfall für die Archäologen: Die Gräber wurden in 4600 Jahren nie gestört, alle Toten wurden zur selben Zeit und sehr sorgfältig beerdigt. Neue Methoden wie die Untersuchung der Strontium-Isotope konnten sogar klären, wieweit die Toten aus der Gegend um Eulau stammen. Der Strontiumgehalt in Gesteinen unterscheidet sich je nach Alter der Mineralien. Das in jungen Jahren aus Boden und Wasser aufgenommene Strontium wird im Zahnschmelz konserviert. So war zu ermitteln, dass die umgebrachten Frauen »wahrscheinlich auf Grund von Heiratsmigration nach Eulau gelangten«. Viele solche Details prägen die uralten Geschichten zu diesem Tatort. Und regen die Phantasie an: Könnten diese Morde im nahen Goseck vor Gericht gekommen sein?

Arnold Muhl, Harald Meller und Klaus Heckenhahn: Tatort Eulau. Theiss Verlag, Stuttgart 2010. 160 S. mit 100 Farbbildern, geb., 22,90 €.

Landesmuseum für Vorgeschichte, 06114 Halle, Richard-Wagner-Straße 9. Täglich außer montags geöffnet.

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