Die dicken Herren auf ihren Harleys

Rockerbanden beherrschen immer mehr das grenzenlose Geschäft der Organisierten Kriminalität

  • René Heilig
  • Lesedauer: 3 Min.
Man möchte es kaum glauben, aber: Die Rocker- und Bandenkriminalität wird vom derzeitigen Chef der Innenministerkonferenz, dem Hamburger Senator Heino Vahldieck, als »Problem für die Innere Sicherheit in Deutschland« eingestuft. Das mag übertrieben klingen, ist aber nebenbei ganz praktisch, wenn man die Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung betreibt.

Wer sich die Observationsfotos, die Stephen-K. Martin in seinem Notebook gespeichert hat, anschaut, verliert umgehend jeden – ohnehin falschen – Gedanken an »Easy-Rider-Romatik«. Die oft dicklichen Typen in fantasievoll gestalteten Lederuniformen auf schweren Harley-Davidson-Maschinen sind übel bewaffnet mit Peitschen, Messern, Beilen, Schlagringen und Revolvern. Sie haben automatische Waffen und Rohrbomben in den Arsenalen.

Martins offizieller Titel lautet Deputy Assistant Director of the Office of Strategic Intelligence and Information of the Federal Bureau of Alcohol, Tobacco, Firearms and Explosive. Unter dieser – kurz ATF genannten – US-Behörde muss man sich eine Art spezialisiertes FBI vorstellen. Bevor der untersetzte Endvierziger Martin einen Schreibtisch in der Chefetage bekam, war er jahrelang als verdeckter Ermittler unterwegs.

In den USA rechnet man derzeit mit 900 bis 1000 Rockerbanden. Vor allem die Hells Angels mit 95 sogenannten Chartern und die Bandidos mit 56 Chaptern (die beiden Gruppen benutzen unterschiedliche Bezeichnungen für Organisationseinheiten) heben sich heraus. Etwas abgeschlagen behaupten die Mongols Regionen. In den Rockerreihen findet man bestens trainierte ehemalige Marines, Navy Seals und Scharfschützen der Armee. Wer die Geschäfte der Banden – also vor allem Rauschgift-, Waffen- und Menschenhandel – stört, kann sich auf einiges gefasst machen.

Martin meint, dass man im Rest der Welt noch gar nicht so richtig begriffen hat, welche – im Wortsinn – gewaltige Macht hinter diesen Gruppen steht. Und wenn der ATF-Mann dann noch vorrechnet, dass in Europa nach US-Erkenntnissen 331 Rockerbanden ihr Unwesen treiben, fühlt sich mancher Fahnder vom Bundeskriminalamt (BKA) total überfordert.

Jüngst hat das BKA erstmals ein »Bundeslagebild Rockerkriminalität« erstellt – und hält es unter Verschluss. Man geht von 90 kriminellen Gruppen mit 6000 Mitgliedern aus, die in 460 Chartern beziehungsweise Chaptern organisiert sind. Nimmt man die Mitgliedszahlen, so sind der Süden und der Westen Deutschlands geografische Schwerpunkte. 2009 wurden hierzulande fast 360 Ermittlungsverfahren gegen rund 880 Rocker eröffnet. Wichtigster Vorwurf: Körperverletzung, Erpressung, Bedrohung. Diese Delikte machen 56 Prozent aller Verfahren aus. Es folgen Rauschgiftkriminalität (19 Prozent) und illegaler Waffenbesitz (13 Prozent).

Auch in 40 Verfahren wegen organisierter Kriminalität waren Rockergruppen verstrickt. Die registrierten Schäden durch Rockerkriminalität beziffert der Bericht auf 5,1 Millionen Euro. 299 der 359 Strafverfahren gegen Rocker betrafen die vier großen Motorradklubs Bandidos (158 Fälle), Hells Angels (103) – beide haben jüngst einen Friedensvertrag geschlossen, dem das BKA nicht traut –, Gremium (35) und Outlaws (3). Bei allen vier Gruppen stellten die Ermittler Kontakte zur rechtsextremen und Hooligan-Szene fest.

Festzustellen sei »ein verbreitetes Engagement in gastronomischen, bordellartigen oder szenetypischen Betrieben wie Tattoo- und Piercingstudios, Motorradhandel und Sicherheitsunternehmen«. Besonders aktiv sind nach dem Lagebild die Hells Angels, deren Mitglieder bundesweit mindestens 118 Geschäfte betreiben, darunter mindestens 37 Bordelle. Dabei haben sie sich zur Absicherung ihrer Geschäfte clevere Rechtsanwälte und Finanzberater »zugelegt«. Wie generell im Lande, so entwickelt auch die Wirtschaft der Rockerbanden zunehmend Aktivitäten im Außenhandel. Die Geschäftsverbindungen führen derzeit vor allem nach Spanien, Venezuela, Thailand, in die Türkei und nach Albanien.

Um der Rockerkriminalität beizukommen, wünscht sich BKA-Präsident Jörg Ziercke vor allem mehr Möglichkeiten zur Gewinnabschöpfung im Bereich der Organisierten Kriminalität. Vorbild dabei ist Italien. Dort ist bei Mafia-Verfahren die Beweislast umgekehrt. Das bedeutet, ein angeklagter Mafioso muss beweisen, dass er seinen Reichtum legal erworben hat. Kann er das nicht, schmerzt ihn das extrem. Nebenbei wird der Staat reicher. In Italien hat man so im vergangenen Jahr 1,3 Milliarden Euro einkassiert. In Deutschland liegt die Vergleichszahl unter 100 Millionen Euro. Und noch eines wünschen sich die Strafverfolger – die Wiedereinführung der vom Bundesverfassungsgericht gekippten Vorratsdatenspeicherung. Um das zu erreichen, muss jede Art von Kriminalität herhalten, auch die der Rockerbanden.

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