Seelenloser Euro-Automat
Demokratische Spielregeln als Störfaktor
Euro-Land steht vor einer Zäsur. Das ist eine Gewissheit, seit im Frühsommer milliardenschwere Interventionen zur Rettung der Einheitswährung erforderlich waren. Von interessierter Seite wurden die Probleme kurzerhand zur »Griechenland-Krise« erklärt. Seither haben Vorschläge Konjunktur, wie man Derartiges künftig vermeiden könne. Von deutscher Seite wurde dabei ein Automatismus favorisiert. Unter Ausschaltung politischer Gremien sollten Strafen für vermeintliche Defizitsünder ohne vorherige Debatte auf dem Fuß folgen. Erst am Mittwoch wurde eine solch harte Gangart wiederum vom Freiburger Centrum für Europäische Politik (CEP) gefordert. »Ein wirksamer Stabilitäts- und Wachstumspakt benötigt ein möglichst hohes Maß an Automatismus«, heißt es von dem »gemeinnützigen« Think-Tank. Entsprechend müssten die in der EU derzeit gültigen Verträge geändert werden.
Von marktliberaler Seite wird Kanzlerin Angela Merkel gescholten, dass sie nach einem Treffen mit Frankreichs Präsident Sarkozy von der Automatismus-Idee abrückte. Sanktionen dürften nicht der »politischen Opportunität« unterworfen werden, warf ihr der FDP-Vorsitzende und Vizekanzler Guido Westerwelle prompt vor.
Jene Lösung steht nun zwar nicht mehr an erster Stelle der Euro-Agenda. Sie ist jedoch mitnichten ganz vom Tisch. Denn der Straf-Automat ist ein Lieblingsspielzeug der Euro-Technokraten. Sie melden sich stets dann zu Wort, wenn der von ihnen vergötterte Stabilitätspakt seine disziplinierende Wirkung verfehlt, wie in der jüngsten Krise der Fall. Debatten über die Ursachen werden hier als lästig empfunden. Gut programmierte Automaten indes sind weniger störanfällig gegen äußere Einflüsse – sie arbeiten seelenlos. Menschen, die sich demokratische Spielregeln für ein auskömmliches Miteinander gegeben haben, stören jedoch den routinemäßigen Ablauf. Daher das schier unstillbare Begehren, jedes »Menscheln« im Getriebe des Euro nach Kräften zu paralysieren.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.