Gegen die Arroganz der Macht

In der Umstellung auf erneuerbare Energien sehen Atomkraftgegner Chancen für eine Demokratisierung

  • Lesedauer: 6 Min.
Gegen die Arroganz der Macht

ND: Wann seit Ihr zu Ökostromanbietern gewechselt?

Matthes: Mein Wohnprojekt ist 2005 auf Ökostrom umgestiegen, aber seit 2008 haben wir ein Blockheizkraftwerk, das mit Gas befeuert wird. Damit erzeugen wir unseren eigenen Strom.

Müller: Ich bin vor zwei Monaten umgezogen und muss ganz ehrlich sagen, ich weiß noch nicht, wer unser Stromanbieter ist. Ansonsten heizen wir zu meinem großen Bedauern mit Kohleöfen. Das meine ich gar nicht so sehr ökologisch; ich finde Kohleöfen total nervig. Ich bin ein Modernitätskind.

Ökostromanbieter sind in der Regel teurer. Das kann sich nicht jeder leisten. Gehören die Bewohner eures Hausprojekts zu den Besserverdienenden?

Matthes: Nein. Ich wohne in der Hafenstraße in Hamburg und bei uns wurde der Strompreis durch den Wechsel nicht höher, da wir bei unserem vorherigen Anbieter sehr schlechte Konditionen hatten. Länger diskutiert haben wir, zu welchem Anbieter wir wechseln. Wir haben genau geprüft, woher sie ihren Strom beziehen.

Der zwölfte Castortransport ist dieser Tage aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague nach Gorleben gestartet. Seit dem ersten Castor 1995 gibt es dagegen Proteste. Warum kristallisiert sich Widerstand ausgerechnet an Atommülltransporten?

Matthes: Das reale Problem ist der Müll, der viele hunderttausend Jahre strahlen wird – und der am Ende irgendwo bleiben muss. Dieses Problem ist für viele Leute sehr konkret und greifbar, insbesondere wenn der Müll vor ihrer Haustür gelagert werden soll.

Müller: Genau, die Atommüllendlagerfrage ist, neben dem so genannten »Restrisiko«, eine der neuralgischen Punkte, eine Achillesferse der Atomindustrie, weil es dafür einfach keine Lösung geben kann. Zudem bieten die Transporte relativ konkrete und lokal zentrierte Widerstandspunkte, denn der Atommüll muss ja über irgendwelche Strecken irgendwohin gebracht werden.

Wie wirken sich die aktuellen energiepolitischen Entscheidungen der Bundesregierung aus?

Matthes: Mit der Aufkündigung des Atomkonsenses und der Laufzeitverlängerung für AKWs ist das Thema Atomkraft wieder unglaublich stark in die gesellschaftliche Debatte gekommen. Viele stellen sich die Frage, wie lange diese Dinger noch laufen werden, die heutigen Sicherheitsbestimmungen überhaupt nicht mehr standhalten würden.

Müller: Mit dem Energievertrag ist die Arroganz der Macht ganz deutlich geworden. Die Regierung hat, sogar an ihren eigenen Parteien vorbei, direkt mit den Energiekonzernen verhandelt. Dass die gefragt wurden, wie möchtet ihr denn gerne eure Besteuerung organisieren, stinkt den Leuten natürlich, wenn es gleichzeitig Sozialabbau und so weiter gibt. Demokratische Mitbestimmungsstrukturen sind dabei überhaupt nicht vorgesehen.

Neu ist deswegen auch eine immer größere Akzeptanz von Mitteln des zivilen Ungehorsams. Nach den Protesten von Heiligendamm und der Blockade des Dresdener Naziaufmarsches im Februar, aber vor allem jetzt mit Stuttgart 21 wurde deutlich mehr bürgerlich verankerten Menschen klar, dass es auch notwendig sein kann, Regeln zu brechen.

Wie wird sich das auf die Proteste gegen den Castortransport auswirken?

Matthes: Am kommenden Wochenende werden in Dannenberg so viele Menschen demonstrieren wie seit Jahren nicht mehr, um ihren Dissens zur Regierung deutlich zu machen. Zudem sind in den letzten Wochen und Monaten neue Bündnisse entstanden, die das Spektrum der Aktionen wieder ausweiten wollen, um diese Arroganz der Macht anzugreifen – in dem Moment, wenn wieder versucht wird, den Castortransport durchzuprügeln.

Was genau heißt »Ausweitung der Proteste«?

Müller: Gruppen erweitern ihre Aktionsformen. Sie sagen sich z.B.: Wir setzen uns nicht nur hin, wir ketten uns aneinander fest. Auch wir werden an der Transportstrecke auftauchen und den Castor schottern. Konkret heißt das, die Schottersteine aus dem Gleisbett entfernen, um die Bahnschienen für den Zug unpassierbar zu machen. Geschottert wird im Wendland seit es den Castor-Widerstand gibt. Neu in diesem Jahr ist, dass wir den Regelbruch des Schotterns offen ankündigen und damit ganz offensiv in die Öffentlichkeit treten. Mit unserer Aktion des zivilen Ungehorsams greifen wir aktiv in die Infrastruktur des energiepolitischen Normalwahnsinns ein.

Du sprichst von zivilem Ungehorsam. Für mich klingt das nach einer massenmilitanten Aktion, wie sie im Anti-AKW-Widerstand vor rund 30 Jahren in ähnlicher Form üblich war.

Müller: Das Interessante an »Castor? Schottern!« ist, die Kampagne spricht sowohl traditionell gewaltfreie als auch militantere Spektren an. Mit unserer Kampagne versuchen wir, neue Wege zu gehen und sagen, wir bewegen uns zwischen zivilem Ungehorsam und Massenmilitanz. Und das finde ich gerade das Spannende.

Matthes: Ich ringe für mich selber auch nach Worten, weil ich finde, dass heute ganz schnell bestimmte Schubladen aufgehen und Stereotypen bedient werden, wenn Worte wie Massenmilitanz oder ziviler Ungehorsam fallen. Ich würde einfach sagen, »Castor? Schottern!« ist eine legitime und damit berechtigte Form von Widerstand. Vielleicht ist die Kampagne auch der Versuch, sich diesen Begriffen ein bisschen zu entziehen, und stattdessen zu sagen: Das Machtverhältnis ist klar. Hier wird gegen den Willen breiter Teile der Bevölkerung Atomenergie durchgesetzt. Und um den Widerstand sichtbar zu machen, ist es notwendig, seine politische Überzeugung offensiv zu vertreten und entschlossen zu handeln.

Müller: Und wir haben dabei nicht nur zahlreiche prominente Unterstützer, sondern sogar die wissenschaftliche Absicherung im Rücken. Der von der Bundesregierung eingesetzte Sachverständigenrat für Umweltfragen sagt, das Brückentechnologie-Argument, wonach Atomkraft ein guter Übergang zu regenerativen Energien sei, ist völliger Blödsinn. Es gibt jetzt eine Richtungsentscheidung. Entweder wir setzen mehr auf grundlastorientierte Kohle- und Atomstromproduktion oder wir gehen in Richtung 100 Prozent erneuerbare Energien bis 2050.

Wäre die Welt besser, wenn jeder Haushalt ein eigenes Blockheizkraftwerk hätte?

Matthes: Ein Blockheizkraftwerk, darüber haben wir lange in unserem Projekt diskutiert, heißt ja nicht, dass wir besser als andere sind. Wir müssen auch überlegen, woher kommt das Gas, unter welchen Bedingungen wird es gefördert, welche Wege geht es. Die gesamte Produktionskette im Blick zu behalten ist wichtig. Hinzu kommen zentrale Fragen, die man sich im globalen Norden stellen muss: Welchen Lebensstandard hat man hier und muss der so hoch sein? Auf wessen Kosten wird dieser Lebensstandard eigentlich gehalten?

Wer sich solche Fragen stellt, weiß, es braucht einen Umschwung in der Gesellschaft. Auf die Klimafrage bezogen ist Energiesouveränität eine Forderung, die ich stark machen würde – in kleinen Einheiten unter lokaler Verwaltung. Das heißt nicht zwangsläufig zurück in die städtischen Hände, auch andere kollektive Formen der dezentralen Verwaltung kann ich mir vorstellen.

Was findet Ihr an dieser Perspektive attraktiv?

Müller: In der Umstellung auf erneuerbare Energien steckt ein Demokratisierungspotenzial. Mit Solarpanelen, mit Windkraft ist es strukturell möglich, Demokratisierung, Dezentralisierung, lokale Kontrolle, Überführung in neue Eigentumsstrukturen, letztlich die Vergesellschaftung der Stromkonzerne umzusetzen.

Matthes: Eine Frage dabei ist natürlich: Woher kommen die Solarpanele und Windräder? Wer verdient daran? Ich habe noch nicht das klare Konzept, wie eine Vergesellschaftung aussehen kann, also welche Strukturen dann die Entscheidungsträger wären – der Staat wäre es für mich nicht. Für mich würde ein Konzept immer das Prinzip von Copyleft enthalten, d.h. keine Patente, Wissen ist prinzipiell allen zugänglich usw. Dies ist auch eine Forderung, die sich im Konzept von Klimagerechtigkeit wiederfindet: kostenfreier Technologietransfer statt Gewinnzuwachs einiger Konzerne.

Fragen: Niels Seibert

Tadzio Müller gehörte zu den Organisatoren der Proteste zum Klima-Gipfel in Kopenhagen Ende 2009 und wurde dort vier Tage inhaftiert. Der Politikwissenschaftler ist Pressesprecher der Kampagne »Castor? Schottern!«.
www.castor-schottern.org

Olivia Matthes wohnt seit mehreren Jahren in den ehemals besetzen Häusern der Hamburger Hafenstraße. Die Geschichtsstudentin engagiert sich im Klima!Bewegungsnetzwerk, das sich an »Castor? Schottern!« beteiligt.
klima.blogsport.de

Wenn die Bahnschwellen unterhöhlt sind, kann darüber kein Atommüll transportiert werden. Aktivisten der Kampagne »Castor? Schottern!« wollen massenhaft Schottersteine aus dem Gleisbett zwischen Lüneburg und Dannenberg entfernen. Sie gehören zu den Tausenden, die am kommenden Wochenende im Wendland der Bundesregierung zeigen werden, wohin sie sich die aktuelle Energiepolitik wünschen: Auf's Abstellgleis.
Wenn die Bahnschwellen unterhöhlt sind, kann darüber kein Atommüll transportiert werden. Aktivisten der Kampagne »Castor? Schottern!« wollen massenhaft Schottersteine aus dem Gleisbett zwischen Lüneburg und Dannenberg entfernen. Sie gehören zu den Tausenden, die am kommenden Wochenende im Wendland der Bundesregierung zeigen werden, wohin sie sich die aktuelle Energiepolitik wünschen: Auf's Abstellgleis.
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