Aufschrei der Diskriminierten

Protestkampagnen indischer Toilettenreiniger und Abwasserkanalarbeiter zeigen Wirkung

  • Henri Rudolph, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.
Durch 20 indische Unionsstaaten zog seit September eine ungewöhnliche »Protestkarawane«. Am 31. Oktober erreichten die fünf Busse der »Nationalen Kampagne für soziale Transformation« die indische Hauptstadt. Die Teilnehmer waren Angehörige der untersten Schicht der Arbeiterklasse, die manuell Toiletten reinigen und die menschlichen Exkremente entsorgen.

Auf dem Papier ist die manuelle Toilettenreinigung verboten: Ein Gesetz aus dem Jahre 1993 verbietet diese entwürdigende Tätigkeit, mit der vor zehn Jahren noch rund 1,3 Millionen überwiegend Kastenlose, Unberührbare ihren Lebensunterhalt mehr schlecht als recht sicherten. Dank besseren Wohnkomforts in den Städten, zu dem heutzutage Spültoiletten gehören, verringerte sich zwar die Zahl der »Aasgeier«, wie die Plumpskloreiniger verächtlich genannt werden. Doch immer noch beträgt sie laut offiziellen Angaben des Ministeriums für Soziale Gerechtigkeit rund 100 000. Die Safai Karamchari Andolan (SKA; Bewegung der Reinigungskräfte) spricht jedoch von immer noch 300 000 Safai Karamchari in 18 Unionsstaaten. Mit der Bustour durch 160 Distrikte wollte die SKA erreichen, dass die Toilettenreiniger das »Joch der Diskriminierung abwerfen und ein neues Leben in Würde beginnen.« SKA-Aktivist Bezwada Wilson äußerte dazu auf der Abschlusskundgebung in Delhi am Sonntag: »Unsere Botschaft an die Karamchari war, sich selbst zu befreien, nicht auf einen anderen Job oder auf soziale Rehabilitation zu warten.« Es ging darum, ein unmissverständliches Signal zu setzen, dass mit dieser menschenunwürdigenden Tätigkeit endlich Schluss gemacht werden muss. Diese sei eine schlimme Fortsetzung des Kastensystems. Die maximalen Monatsgehälter von 250 Rupien (etwas über vier Euro) würden ohnehin nicht zum Leben reichen.

Die SKA beklagte 2003 in einer Eingabe an das Höchste Gericht, dass das Gesetz von 1993 grob missachtet wird und zwar nicht nur von privaten Haushalten, sondern auch von öffentlichen Institutionen. Das größte staatliche Unternehmen, die Eisenbahn, wurde darin als herausragendes Negativbeispiel genannt. Auf der Bustour hat die SKA ihre Hauptforderungen unterstrichen: strikt die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren, Verstöße exemplarisch ahnden und die Karamchari sozial zu rehabilitieren.

Kurz vor Abschluss der Protestkampagne reagierte das von Sonia Gandhi geleitete Nationale Beratergremium (NAC) mit einer unmissverständlichen Stellungnahme. Es forderte alle Regierungsstellen auf, ausdrücklich auch die Eisenbahn, bis spätestens zum Ende des laufenden Fünfjahrplanes das manuelle Reinigungssystem vollkommen abzuschaffen. Alle sogenannten Trockenlatrinen müssen beseitigt, die Karamchari sozial rehabilitiert und deren Kinder mit Sonderschulprogrammen gefördert werden. Das NAC wird die Umsetzung dieser Anweisung vierteljährlich kontrollieren. Somit scheint der Aufschrei der Toilettenreiniger etwas bewirkt zu haben.

Zeitgleich mit der Karamchari-Kampagne wies ein Bericht des Hazards Centre Delhi auf die miesen Arbeitsbedingungen der Abwasserkanalarbeiter hin. Ihr Los unterscheidet sich von dem der Toilettenreiniger nur geringfügig. In der Regel verfügen sie weder über Schutzkleidung noch ausreichendes technisches Gerät und Sicherheitsausrüstungen. Sie sind einem hohen Gesundheitsrisiko ausgesetzt und leiden an chronischen Krankheiten. Die meisten gehören der Gemeinschaft der Valmiki Dalits an, die nicht in die Gesellschaft integriert sind. Selbst ihre Kinder werden in der Schule diskriminiert.

Wegen der geringen Einkommen ist in ihren Familien Kinderarbeit nicht ungewöhnlich. Auch bei den Abwasserkanalarbeitern werden staatliche Vorgaben meistens nicht eingehalten. Der Wunsch, diesen Job aufzugeben, so Prof. Navdeep Mathur von der Kampagne zu Würde und Rechten der Abwasserkanalarbeiter, sei unter den Valmiki Dalits verbreitet. Doch es mangele an alternativen Angeboten.

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