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  • Fokus: Anti-Castor-Proteste

Eine Region in Alarmbereitschaft

Im Wendland läuft die Vorbereitung auf den Castor-Transport bei allen Seiten auf Hochtouren

Großes X und Strohpuppen als Zeichen des Protests – hier auf einem Feld an einer Landstraße, die nach Dannenberg führt.
Großes X und Strohpuppen als Zeichen des Protests – hier auf einem Feld an einer Landstraße, die nach Dannenberg führt.

Die ersten Castorgegner haben sich schon postiert. Sie sitzen oder lehnen an Straßenecken und Bäumen, neben sich Schilder mit »Atomkraft stoppen«. Wenn es dunkel ist, tauchen sie plötzlich im Scheinwerferlicht auf. Noch sind es nur menschengroße Puppen. Aber sie sind die Vorhut.

Schon Tage vor dem Atommüll-Transport ist jedermann in der Region Lüchow-Dannenberg damit beschäftigt, seine Ankunft vorzubereiten. Die einen planen, wie sie ihn stoppen, die anderen, wie sie ihn durchkriegen. Überall zwischen Gorleben und Lüneburg wird auf- und umgebaut, werden Menschen versammelt, Pläne geschmiedet. Ruhig und diszipliniert.

Die Szenerie hat etwas von alten Schlachten, wo sich zwei feindliche Heere auf einem Feld wochenlang gegeneinander in Stellung bringen. Nur, dass es im Wendland nicht um den Kampf Demonstrant gegen Polizei gehen soll, sondern um die Atomkraft. So hofft man zumindest.

Autofähnchen: Der neueste Schrei

Die vielen Xe in den kleinen Ortschaften sind eindeutig. Atommüll unerwünscht. Xe an Häuserwänden, an Bäumen, auf Feldern, in Blumentöpfen. Manche klein wie Weihnachtsbaumschmuck, manche meterlang aus Brettern zusammengenagelt. Alle leuchtend gelb. In den Fenstern biederer Ziegelhäuser fordern Plakate »Atomkraft abschalten«. Eine ganze Region in Alarmbereitschaft.

Nur in Gorleben und Gartow ist das anders. Dort ist man seit eh und je mehrheitlich für die Transporte. Das bringe Geld, weiß Atomkraftgegner Dieter Metk. »Gorleben ist die einzige Kommune mit einem ausgeglichenen Haushalt.« Der Streit ist alt, die Fronten klar, Metk jedenfalls regt sich nicht mehr auf über die Nachbarn.

Die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg ist im Dauerstress. Sie ist die wichtigste Gruppe für den Widerstand – das wissen viele und so klingelt im engen Büro in Lüchow ununterbrochen das Telefon. »Wie komme ich von Uelzen nach Dannenberg?« »Gibt es dort Parkplätze?« Regina Kümmel ist guter Dinge, weil der Protest dieses Jahr so stark wie lange nicht mehr werden wird. Ein bisschen unruhig ist sie nur, ob sie das mit den vielen Bussen und Traktoren in den Griff bekommen. »Die haben ja niemals alle Platz in Dannenberg«, wo zur heutigen Großdemonstration 30 000 Menschen erwartet werden.

BI-Frau Kümmel packt Kisten für den Infostand. Der neueste Schrei sind Autofähnchen mit der Anti-Atom-Sonne drauf. Die hat man sich bei den Fußballern abgeguckt. Vier Euro das Stück. Dieter Metk kauft gleich zwei, für jede Seite eins. Vielleicht meldet er sich zum Shuttle-Dienst und holt damit heute anreisende Demonstranten vom Bahnhof ab. Metk, seit Jahren im Gorleben-Protest aktiv, vor Jahren auch mal Pressesprecher der BI, kann Geschichten über Geschichten über ihre Aktionen erzählen, über den Ungehorsam der Ü60-Initiative, die mittlerweile eher Ü80 ist, über Polizeiprovokateure, die Steine schmeißen, damit der Wasserwerfer loslegen kann.

Zwischenzeitlich war das Camp der Treckerfahrer, mit ihren Maschinen die mächtigste Blockadeeinheit, verboten. Aber so schnell geben sich die Bauern nicht geschlagen. 600 Meter weiter fingen sie ein neues an. »Die Leute haben keine Angst vor der Staatsmacht«, sagt Metk. »Sie sind bereit zu Regelverletzungen, sofern Menschen dabei nicht zu Schaden kommen.«

Wie das aussieht, wenn Bürger keine Angst vor Autoritäten haben, wird an diesem Wochenende noch oft zu verfolgen sein. Wenn grauhaarige Rentner mit Stühlen dort aufkreuzen, wo die elf Castorbehälter verladen werden. Oder Samstagmorgen in Trebel, bei Gorleben, eine Zufahrtsstrecke für Polizeiwagen zum Demonstrationsort. Dort lädt der Wendlandmarkt die Dorfbewohner für 8 Uhr zum »kreativ Parken« ein. Für Falschparker gibt es Kaffee und belegte Brötchen. Nicht alle, aber viele Hundertschaften aus der gesamten Bundesrepublik sind vor dem Wochenende schon da. Polizeikolonnen schlängeln sich seit Tagen durchs Wendland, Räumfahrzeuge werden aufgefahren. Beamte inspizieren die Schienenstrecke, auf der der Castor nach Dannenberg rollen soll. Sie haben ein Auge darauf, wenn einer die Gleise betritt.

Im Zelt beginnt das Beschnuppern

Ein junger Beamter aus Uelzen, Wendland, der am Bahnhof Hitzacker die Gleise sichern muss, räumt zögernd ein, selbst schon gegen Atomkraft demonstriert zu haben. Aber nie blockiert, betont er. Das sei etwas anderes, obwohl auch nicht ganz so schlimm, wie er offiziell verpflichtet ist zu sagen. Das lässt er jedenfalls durchblicken. An seinem Job ändert das nichts. »Ich mache das, was angeordnet wird.«

Die letzten Personenzüge auf der Strecke sind Donnerstagabend gefahren, die Fahrkartenverkäuferin schließt den Bahnhof in Dannenberg ab. »Was soll ich noch hier, wenn nichts fährt?« Als nächstes rollt hier nur noch der Castor vorbei. Das Gebiet ist weiträumig mit NATO-Draht abgeriegelt. Einige Kilometer entfernt, in der Nähe des Endlagers, leuchten rot-gelbe Zirkuszelte im Dunkeln.

Im Camp in Gedelitz, eines von etwa fünf der Anti-Atom-Bewegung, laufen die Vorbereitungen für eine große Sitzblockade. Der Kasseler Student Dominic ist zum ersten Mal bei einem Castor-Protest. Wann, wenn nicht jetzt, war sein Gefühl. »Die Demokratie wird immer mehr untergraben«, findet er, »die Politiker sitzen im Bundestag und lachen das Volk aus.« Mit Charo, seiner Freundin, deren Eltern vor 30 Jahren beim Hüttendorf gegen Atomkraft dabei waren, will Dominic deshalb ein Zeichen setzen. »Es geht nicht um diesen einen speziellen Mülltransport, sondern gegen die Atomkraft im Allgemeinen.«

Die beiden sind extra früh angereist, um die Leute näher kennenzulernen, mit denen sie gemeinsam eine noch unbekannte Stelle auf der Castorroute nach Gorleben besetzen wollen. Die kleine Gruppe im Zelt fängt gerade erst an, sich zu beschnuppern. Vielleicht wird das ihre Bezugsgruppe, jedenfalls raten die erfahrenen Trainer von X-tausendmal quer, nicht allein oder zu zweit unterwegs zu sein. Den ganzen Freitag über fanden Aktionstrainings auf dem Camp statt. Am Sonntag werden sie dick eingemummelt aufbrechen. Wohin genau, weiß nur ein kleiner Kreis. Sicher nicht direkt zum Verladebahnhof. Dort, wo die strahlenden

Behälter von der Schiene auf die Straße umgeladen werden, um die letzten Kilometer zurückzulegen, ist die Polizeidichte eine der höhsten derzeit.

Gleich nebendran stehen Baracken für über 1000 Einsatzkräfte, Abteilung Caesar aus Niedersachsen, extra für Sondereinsätze zusammengestellt, auch die Bereitschaftspolizei aus Sachsen-Anhalt ist dort für die Castor-Tage untergebracht. Wenn der Atommüll kommt, ist das für die Ordnungshüter ein bisschen wie beim Klassentreffen. Einmal im Jahr sieht man sich hier. Wiebke Timmermann, Polizei Lüneburg, freut sich. Sie hat Leute aus der Schulzeit wieder getroffen. Zum Abendessen gibt es Grünkohl mit Kassler und Pinkel.

Mal was anderes als der normale Alltag

Sachsen-Anhalt hat Bereitschaft. Sie bilden die Fußtruppen, die die Strecke säumen, nicht die Spezialisten, die Demonstranten von den Schienen schneiden, wie Fabian Fiedler, Polizeiobermeister, etwas bedauernd mitteilt. »Uns fehlt das technische Gerät.« Im Gemeinschaftsraum wird fern geschaut, Karten gespielt, alles in voller Montur. Fiedler ist nicht zum ersten Mal dabei. Er mag Castor-Einsätze. »Das ist mal was anderes als der normale Alltag.« Einmal habe er auch eine Sitzblockade von 1000 Leuten auflösen müssen. »Mitten in der Nacht, das hat ewig gedauert«, sagt er. Im Gegensatz zu seinem Kollegen aus Uelzen ist Fiedler die Atomkraftfrage egal. Deutschland sei ein hoch entwickeltes Land, »ich verlass mich da auf die Experten.«

Kurz vor 6 heißt es plötzlich durch einen Lautsprecher: »Aufsitzen.« Die gesamte Einheit springt auf, raus in vier Wannen. Wohin, weiß noch niemand. »Irgendwas mit Metzingen«, heißt es.

Im Castorticker der Atomkraftgegner kann man später lesen: »Metzingen, bei der Landmaschinenschau sind 250 Leute und 40 Trecker.« Auf der Bundesstraße 216 haben die Proteste begonnen.

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