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Die Welt darf Pakistan nicht im Stich lassen

Tanveer Ahmed über die Lage 100 Tage nach der Flutkatastrophe

  • Lesedauer: 4 Min.
100 Tage nach dem Beginn der Überschwemmungen ist die Lage in Pakistan nach wie vor dramatisch. 21 Millionen Menschen sind von der Flut betroffen, bis zu 14 Millionen werden lange Zeit auf Hilfe angewiesen sein, mehr als 1,9 Millionen Häuser und die Ernte von 3,2 Millionen Hektar Ackerland wurden zerstört. Über die Lage und die Herausforderungen für das Land berichtete Dr. Tanveer Ahmed, Geschäftsführer der pakistanischen Organisation HANDS – Partner von medico international – im ND-Gespräch mit Martin Ling.
Die Welt darf Pakistan nicht im Stich lassen

ND: Die Flut in Pakistan ist aus den Schlagzeilen hierzulande längst verschwunden. Wie stellt sich die Lage im Lande dar?
Ahmed: Die Situation ist trotz aller Hilfe nach wie vor katastrophal. Die Millionen von der Flut betroffenen Menschen leben in der Nähe ihrer zerstörten Dörfer in Lagern, wo sie notdürftig mit Essen und anderen Notwendigkeiten versorgt werden. Nun kommt der Winter, die Regenzeit hat begonnen, was die Lage verschärft. Vor allem im Norden, im Swat-Tal, ist es bereits sehr kalt, fällt bereits Schnee. Es fehlt an Decken, an Häusern, an allem. Wir reden über insgesamt rund 20 Millionen von der Flut Betroffenen, meist die Ärmsten der Armen, die nicht mehr besitzen als die Kleidung, die sie auf dem Leib tragen. Was auch immer bisher an Hilfe geleistet wurde, es reicht hinten und vorne nicht. Der Wiederaufbau muss vorangetrieben werden, Häuser, Gesundheits- und Bildungseinrichtungen müssen errichtet werden. Zudem müssen die Nutztiere ersetzt und Saatgut für die beginnende Saison verteilt werden, damit die Menschen mittel- und langfristig ihre Ernährung wieder selber sichern können. Es ist ein riesiger Berg an Arbeit, vor dem wir stehen.

Bisher sind nur 38 Prozent der für die Nothilfe zugesagten Gelder von 1,4 Milliarden Euro überhaupt geflossen. Was sind ihre zentralen Forderungen an die internationale Gemeinschaft?
Die internationale Gemeinschaft hat einen recht guten Job gemacht. Die UNO und viele Mitgliedstaaten haben geholfen, haben die Hilfe leistenden Nichtregierungsorganisationen unterstützt und auch die pakistanische Regierung. Damit hat die internationale Gemeinschaft im Land auf alle Fälle ihr Ansehen verbessert. Darin liegt eine Chance. Pakistans Bevölkerung ist sehr jung. 55 Prozent der 180 Millionen Bewohner sind jünger als 18 Jahre. Darin liegt ein großes Potenzial. Die Jugend ist hungrig, aber auch hungrig nach Bildung, wofür derzeit die Möglichkeiten fehlen. Diese Jugendlichen müssen unterstützt werden, sie müssen Bildungsangebote erhalten und sie müssen in den Entwicklungsprozess des Landes einbezogen werden. Ohne Perspektiven droht, dass sie von Extremen wie den Taliban geködert werden und zur Militanz abdriften.

Wie hat sich die Flutkatastrophe auf das politische Szenario in Pakistan ausgewirkt? Hat die Schwäche der Regierung in der Krisenbewältigung die Taliban gestärkt?
Die Taliban waren schon vor der Flut auf dem Rückzug vor dem Militär. Während der Flut konnten sie gar nicht helfen. Sie haben Hilfsaktivitäten nach dem Desaster unternommen. Viel Einfluss gewonnen haben sie dadurch meines Erachtens aber nicht. Sie sind insgesamt weiter auf dem Rückzug. Dagegen hat die Armee durch ihre aktive Hilfe ihren Ruf bei der Bevölkerung deutlich aufpoliert. Die Regierung konnte nicht in dem Maße auf die Katastrophe reagieren, wie es nötig gewesen wäre. Inzwischen macht sie in Sachen Gesundheitswesen Punkte gut. Eine sehr wichtige Rolle spielen die Zivilgesellschaft, die Nichtregierungsorganisationen und die Medien. Sie weisen auf die Fehler hin und machen Druck.

Was macht Ihre Organisation HANDS (Gesellschaft für Gesuheits- und Ernährungsentwicklung) konkret, um die Katastrophe zu lindern?
In die Nothilfe haben wir 11 Millionen US-Dollar gesteckt. Damit haben wir rund 35 000 Familien, also rund 250 000 Menschen, erreicht. HANDS errichtet Flüchtlingslager, gewährleistet Wasser- und sanitäre Einrichtungen sowie die Lebensmittelversorgung und organisiert Gesundheitsdienste. Wir versuchen ein Komplettangebot zu unterbreiten. Damit schaffen wir es, Probleme wie Mütter- und Kindersterblichkeit anzugehen und auch drohende Seuchen wie Cholera, Malaria und Durchfall zu bekämpfen.

Und wie steht es um die langfristige Hilfe?
Auch daran arbeiten wir. Mit 2000 Euro kann ein umfassendes Hilfspaket für eine Familie finanziert werden, das den Start in ein neues Leben ermöglichen würde. Solche Pakete, die neben Unterkunft auch Vieh und Saatgut umfassen, wollen wir an 35 000 der am meisten betroffenen Familien verteilen. Ich appelliere an die deutsche Bevölkerung, die pakistanische Zivilgesellschaft weiter zu unterstützen. Wichtig ist, dass die Verwirklichung der Hilfsprogramme ausgewählten pakistanischen Organisationen obliegt, denn die wissen am besten, was zu tun ist. Damit können die internationalen Hilfsorganisationen am besten die lokalen Strukturen stärken.

Für die Linderung der Not in Pakistan bittet das »Bündnis Entwicklung Hilft« die Bevölkerung um Spenden auf das

Spendenkonto 51 51
Bank für Sozialwirtschaft;
BLZ 370 205 00
Stichwort: Pakistan

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