Die Weichen sind gestellt

Bundesregierung strebt mit Gesetzen zur Gesundheitsreform deutlich Richtung Kopfpauschale

  • Ulrike Henning
  • Lesedauer: 3 Min.
Die Zustimmung der Regierungsfraktionen im Bundestag war am Freitag nur noch eine Formsache – nun ist die Röslersche Gesundheitsreform beschlossene Sache. Die meisten finanziellen Lasten werden wieder einmal den Versicherten aufgebürdet.

Von Hektik war der Gesetzgebungsprozess für das nun beschlossene Finanzierungsgesetz der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) bestimmt. Ständig neue Änderungsvorschläge aus dem Ministerium erreichten die Bundestagsabgeordneten, oft erst kurz vor den Verhandlungen. Minister Philipp Rösler (FDP), der mit hohen Ambitionen für die Interessen der 70 Millionen gesetzlich Versicherten angetreten war, lenkte immer wieder ein, wenn es um die Pfründe der Gesundheitsakteure ging. Die Privaten Kassen schonte er nicht nur, sondern erleichterte ihnen sogar mehrfach ihre Wettbewerbsposition. Mit dem neuen Gesetz können freiwillig gesetzlich Versicherte nun schneller als bisher zu den Privaten wechseln, was die GKV 200 Millionen Euro kosten wird, nach Schätzungen der Techniker Krankenkasse sogar 500 Millionen.

Diese großzügige Förderung der Privaten zeigt, wohin der Zug der gesamten Gesundheitsreform geht. Eine nochmalige Erhöhung des einheitlichen Beitragssatzes für 2011 belastet, entgegen FDP-Versprechen aus dem Wahlkampf, erneut die Lohn- und Gehaltsempfänger, und stößt auch auf den Unwillen der Arbeitgeberverbände. Letztere sind dennoch darüber erfreut, dass ab 2012 ihr Anteil an der GKV-Finanzierung eingefroren wird und alle weiteren Kostensteigerungen allein von den Versicherten über Zusatzbeiträge zu tragen sind. Die paritätische Finanzierung ist damit endgültig aus dem Spiel und die noch vorhandene Solidarität im Gesundheitswesen weiter dezimiert, der Weg zu Kopfpauschale eindeutig eingeschlagen.

Deutlich wird das auch beim von Schwarz-Gelb vorgesehenen Sozialausgleich für die Zusatzbeiträge. Hier wurden etwa die Zins- und Mieteinnahmen vergessen. Wer also nur 400 Euro Lohn oder Rente bezieht, aber mit 5000 Euro ganz erkleckliche Einkünfte aus Immobilien oder Wertpapieren hat, würde dennoch einen Sozialausgleich bekommen. Eine Nachbesserung soll zwar folgen, aber sie würde das ebenfalls versprochene unbürokratische Vorgehen unmöglich machen. Weiterhin ist die Finanzierung des Sozialausgleiches unklar: Absehbar ist, dass er zunächst aus den Reserven des Gesundheitsfonds bezahlt werden soll – also wiederum zu Lasten der gesetzlich Versicherten. Später sollen dann Steuermittel herangezogen werden – wobei völlig unklar ist, wie diese in den langfristig absehbar schuldenbelasteten Bundeshaushalten unterzubringen sind. Die LINKE befürchtet sogar, dass diese Zahlungen mittelfristig die Haushalte sprengen würden. Hinzu kommt, dass der Sozialausgleich nur für einen durchschnittlichen Zusatzbeitrag geleistet wird.

Eine weitere Stellschraube für die Segmentierung von Patientenklassen ist mit der Ausweitung der Kostenrückerstattung vorgesehen: Künftig werden also nicht nur die Privatversicherten – etwa bei Terminvergabe und teueren Behandlungsverfahren – privilegiert, sondern auch diejenigen gesetzlich Versicherten, die bar zahlen können und sich anschließend mit ihrer Kasse in den Clinch um die Rückzahlung begeben wollen und können.

Auch über die Gesundheitskarte wurde abgestimmt. Das Konzept für den elektronischen Versicherungsausweis ist zwar noch immer nicht ausgereift, dennoch hielt es Minister Rösler für angebracht, jetzt zugunsten der IT-Branche Druck auf die Kassen auszuüben. Diese müssen nun mit einer Kürzung der Verwaltungsausgaben rechnen, wenn sie nicht 2011 mindestens zehn Prozent ihre Versicherten mit der elektronischen Karte ausstatten. Auch Ärzte sollen mit Honorarentzug bestraft werden, wenn sie sich weigern, ihre Praxen an die zentralen Computerstrukturen anzuschließen. Zuvor hatten sich drei Ärztetage aus Sorge um sensible Patientendaten gegen die E-Card ausgesprochen.

Die Gesundheitsreform hat noch keinen Beitrag zu einer größeren Effizienz des Systems, geschweige denn zu dessen patientenorientierter Umgestaltungen geleistet. Den Anbietern der Gesundheitsleistungen werden immer höhere Entgelte und Honorare zugestanden, getrieben von der Formel von demografischen Veränderungen und medizinischem Fortschritt. Die Heilsversprechen und Andeutungen etwa der genetischen und molekularbiologischen Medizin werden dabei stark überschätzt, die Versorgung chronisch Kranker, die Pflege und die Palliativmedizin bleiben dagegen außen vor.

Was die Alternative einer möglichst solidarischen Bürgerversicherung betrifft, ist sich die Opposition in einigen Punkten einig. So soll deren Finanzierungsbasis auf alle Einkommensarten ausgeweitet werden und auch alle bisher nicht in der GKV Versicherten einbeziehen. Insofern darf man auf die Gesundheitspolitik einer neuen Bundesregierung gespannt sein.

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